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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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erzählt. Aber was? Die ganze Geschichte? Nein, das konnte sie nicht, denn sie kannte die ganze Geschichte nicht. Sie dachte, wir wollten in Italien Urlaub machen und ein wenig nach Papa forschen. Der ein Halbblut und verschwunden war. Hatte sie das Herrn Schütz erzählt? Wenn ja, dann passte es nicht zu ihr. Sie musste einen sehr schwachen Moment gehabt haben.
    »Das mit deinem Vater … ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    Ich wusste es auch nicht und entschied mich für ein »Hmhm«.
    »Mir fehlen die Worte! Das ist bitter, sehr bitter und gleichzeitig so unbegreiflich.« Da sagte Herr Schütz etwas Wahres. Doch mir gefiel der mitleidige Unterton nicht, der seine Worte begleitete. »Ihr müsst harte Zeiten durchgemacht haben. Oder tut es immer noch …«
    »Oh, es geht schon«, wiederholte ich lahm. »Wir sind ja jetzt hier in Italien und …« Und warteten auf den schlimmsten aller Mahre, über den selbst Mama kaum etwas wusste. Hübscher Urlaub.
    »Ja, erholt euch gut, vielleicht kommt dann alles wieder … äh, rückt sich alles zurecht, nicht wahr?« Rückt sich alles zurecht? Das hörte sich nicht an, als würde er auch nur ein Quäntchen von dem glauben, was Mama ihm erzählt hatte. Daher also das Mitleid in seiner Stimme. Ich war nur eine weitere Person im Bunde der armen, geistesgestörten Sturms. Eine nervenkranke Familie, einer schlimmer als der andere.
    »Wie geht es denn meinem Sohn? Er hat ja auch kein leichtes Los mit seinem Serotoninmangel. Passt Paul gut auf ihn auf?« An der Art, wie Herr Schütz »Paul« sagte, erkannte ich, dass er Paul zumindest einen klaren Verstand attestierte. Paul, unserem ewigen Zweifler, der soeben ein Messer geschärft und gestohlene Medikamente durchforstet und herausgesucht hatte, wenn ich die Geräusche von unten richtig deutete.
    »Elisabeth, bist du noch da?«
    »Bin ich.«
    »Was macht Tillmann? Geht es ihm gut?«
    Ich sah mich um. Tillmann war wieder nach oben gekommen, mit zwei Drinks in seinen Händen und einem großen Fleischermesser unter dem Arm. Gleich würde er die kleine Musikanlage für die psychedelische Untermalung unseres Trips programmieren.
    »Prima. Er hat gerade Cocktails für uns gemixt, weil wir heute Abend Besuch bekommen.«
    Tillmann äugte fragend zu mir rüber und unterdrückte ein Prusten. Ich zuckte mit den Schultern.
    »Dein Vater«, formte ich mit den Lippen. Sein Grinsen verstärkte sich. Ohne jegliche Hast nahm er mir das Handy aus den Fingern.
    »Hi, Dad. Ja, alles okay, mir geht’s gut. Ja, wir haben tolles Wetter, ist schön hier. Viel Sonne. Bisschen besser. Ach, was man halt so macht, schwimmen, essen, faulenzen.« Morden. »Ja, ich geb sie dir noch mal …«
    Ich verdrehte die Augen, nahm das Handy aber an.
    »Elisabeth! Ich wollte dir nur sagen, ich halte zu euch! Ich bin auf eurer Seite.«
    »Danke. Herr Schütz, ich muss Schluss machen, unser Besuch kommt gleich. Bis bald mal! Tschüss!« Ich legte auf und schaute Tillmann gepeinigt an. »So, jetzt denkt er, Mama und Papa und ich seien verrückt geworden. Sie muss ihm etwas erzählt haben! Warum erzählt sie ihm davon? Wie kann sie das nur tun?«
    Hatte es sich etwa um Bettgeflüster gehandelt? Ich erinnerte mich daran, dass ich Colin gegenüber sehr redselig geworden war, nachdem wir miteinander geschlafen hatten. Meine Mutter und Herr Schütz im Bett – nein, diese Vorstellung musste auf morgen oder irgendwann warten, denn sie würde mir alles vernichten. Klar war, dass er uns nicht glaubte und für psychotisch hielt, sonst hätte er nicht so aufgeblasen und geschwollen dahergeredet. »Ich halte zu euch. Ich bin auf eurer Seite.« Was sollte das heißen – ich besuche euch in der Klinik und bringe euch Blümchen mit, wenn es so weit ist und man euch endlich eingesperrt hat? Aber wieso ließ er es dann zu, dass die verrückte Elisabeth mit seinem Sohn Urlaub machte? Das konnte er doch nur tun, wenn er mich aus dem Verrücktenbund ausschloss, wie Paul. Nun, eventuell tat er das sogar und hielt nur Mama für bekloppt. Ja, das ergab ein stimmiges Bild. Alle anderen Überlegungen wollte ich auf später vertagen. Falls es ein Später gab.
    »Vorhin hast du entspannter ausgesehen, Ellie.« Tillmann blickte mich kritisch an. Er hatte die MP3-Anlage programmiert – Mobys Pale Horses in der Endlosschleife, wie ich es angeordnet hatte – und sich eine lange Hose angezogen, als wolle er besonders chic aussehen, wenn Tessa kam. Ich trug immer noch meinen Bikini, besaß aber nicht

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