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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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jetzt nicht dahin aufbrechen oder Nachforschungen anstellen. Aber wäre es nicht leichtsinnig, ihn gar nicht danach zu fragen?«
    »Ich finde, es wäre leichtsinnig, ihn zu fragen«, erwiderte Colin mit hochgezogenen Brauen. »Möglicherweise bringt es ihn erst auf eine Idee, deren Umsetzung das Gegenteil von dem ist, was du erreichen willst. Ich möchte nicht, dass du ihn noch einmal triffst.«
    »Das lasse ich mir von dir nicht verbieten«, stellte ich ruppig klar. »Colin, ganz in der Nähe lebt ein Mahr, der sich mir offen zeigt, was kann ich denn mehr erhoffen? Ich weiß doch gar nicht, wo ich bei meiner Suche anfangen sollte … Du darfst von mir nicht erwarten, dass ich ihn ignoriere, das geht nicht! Vielleicht ist er einer von den Guten!«
    »Es gibt keine Guten«, erwiderte Colin scharf. »Es gibt Revoluzzer, das ist alles.«
    »Dann frag du ihn doch. Dir ist das wohl alles egal, oder? Hauptsache, du kannst deinen Märtyrertod sterben.« Es war nicht gerecht, solch zickige Bemerkungen abzulassen, doch Colin verlangte Unmenschliches von mir.
    »Er wird mir nichts sagen. Selbst wenn er Informationen besitzt. Da wir wissen, wie wir sind, traut keiner von uns dem anderen. Und was das Interesse betrifft: Was, glaubst du, tue ich, seitdem ich von dem Verschwinden deines Vaters erfahren habe? Natürlich bemühe ich mich, etwas herauszufinden, aber es ist ein Drahtseilakt und riskant für uns alle.«
    »Das verstehe ich nicht.« Mein Vorhaben, nicht mehr zu angestrengt nachzudenken, wurde erneut auf die Probe gestellt. Ich konnte Colin kaum noch folgen. »Ihr habt doch die Fähigkeit, in die Köpfe anderer Menschen hineinzusehen?«
    »Ja, in die Köpfe von Menschen. Nicht in die von Mahren. Mahre schotten sich ab. In ihnen ist nichts zu lesen. Von Tessas Gedanken und Plänen erfuhr ich nur, als sie mich zu verwandeln versuchte und unsere Hirne aneinandergekoppelt waren, und bei François geschah es im Kampf, während ich ihn vergiftete. Ich kann nicht sagen, was Angelo im Schilde führt, und bei anderen Mahren ist es dasselbe. Mein Verstand warnt mich jedoch, dass ich mich hüten sollte. Möglicherweise fürchten mich einige, die Jüngeren wahrscheinlich, aber ich könnte mir eher vorstellen, dass sie es auf mich abgesehen haben. Wir haben schon zwei von ihnen auf dem Gewissen, Ellie … Eine von ihnen war eine Art Legende. Vermute ich jedenfalls.«
    »Wie hast du es eigentlich geschafft, dass Tessa dich nach der Befreiung aus dem Lager nicht vollständig verwandelt hat?«
    Colins Miene verschloss sich. »Frag lieber nicht …«, riet er mir abweisend.
    »Ich möchte es aber wissen.«
    »Vorab fürs Protokoll: Ich bin ein vollständiger Mahr, vollständiger, als ich es je sein wollte. Die Anlagen dafür hatte ich schon immer. Tessa hat es nur nicht geschafft, mir meine guten Vorsätze aus dem Leib zu treiben. Zur Rettung aus dem Lager: sofortiger gemeinsamer Jagdzug auf eine mehrköpfige Familie, den ich ihr vorschlug, was sie erst recht heißmachte. Dann habe ich ihr die Knochen gebrochen, während sie saugte, habe sie von den halb toten Kindern weggezogen, die Kleinen in Trance versetzt, damit sie vergessen und sich gesundschlafen können, habe ihre Mutter zum zweiten Mal befallen, um mich gegen Tessa wehren und fliehen zu können … noch weitere Details?«
    »Nein danke«, wehrte ich ab. Ich musste blass geworden sein; mein Gesicht fühlte sich eisig an. Ich vergaß zu gerne, dass Colin sich einst ebenfalls von Menschenträumen ernährt hatte. Doch nun wunderte mich gar nicht mehr, dass Tessa ihn so erbittert verfolgt hatte. Er hatte sie immer wieder überlistet.
    »Hätten die Mahre mich nicht längst töten müssen?«, kehrte ich zum Ausgangsthema zurück, denn mit diesem Exkurs in Colins Vergangenheit wollte ich mich keine Sekunde länger beschäftigen. »Schließlich war ich dabei, ich habe es sogar vorangetrieben.«
    Colins geschwungener Mund bekam einen harten Zug. Auch ich hatte das Gefühl zu versteinern, als ich meine Worte reflektierte. Sie gehörten zu jenen Zusammenhängen, die ich in der vergangenen Woche vehement verdrängt hatte. Würden sie Rache nehmen? Es war für einen Mahr eine Kleinigkeit, mich umzubringen.
    »Ja, eigentlich hätten sie das tun müssen. Bereits nach François. Du glaubst nicht, was in mir vorging, nachdem ich mich auf die Flucht begeben hatte. Ich hätte es mir niemals verzeihen können, wenn ich nicht da gewesen wäre, um es zu verhindern. Aber sie tun es nicht, warum auch

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