Dornenkuss
umgeben von Brandherden und wilden Tieren. Es war mehr, als ich im Moment bewältigen konnte.
»Colin … mach mich müde. Lass mich schlafen, bevor du gehst«, bat ich ihn leise. Ich hatte mich bisher immer dagegen gesträubt, wenn er es getan hatte, es war mir wie ein Übergriff vorgekommen, eine Einmischung in mein Dasein. Jetzt sehnte ich mich danach. »Schenk mir Schlaf. Bitte.«
Es war nur eine kaum spürbare, federleichte Berührung seiner kühlen Lippen auf meiner Stirn, nicht einmal ein Kuss, doch sie genügte, um mich innerhalb eines Sekundenbruchteils meines Bewusstseins zu berauben und in den Tiefschlaf fallen zu lassen.
Wäre mein Geist noch wach geblieben, wie er es gerne tat, wenn mein Körper sich seinem natürlichen Schlaf hingab, so hätte er begriffen, welch monströse Macht in diesem Wesen neben mir lauerte, und mir verboten, mich je wieder in seine Nähe zu wagen.
AMOR UND PSYCHE
»Ha!« Gianna schaufelte mit einer temperamentvollen Bewegung die zerkleinerten Zwiebeln in die Pfanne, wo das Hackfleisch brutzelte und einen Duft verströmte, der mir das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. »Ich hab’s! Jetzt hab ich’s!« Ihre Falkenaugen leuchteten vor Triumph, als sie sich mit hocherhobenem Kochlöffel zu mir umdrehte. »Mesut Özil!«
»Mesut Özil?«, echote ich fragend und erlag bei dem Gedanken an Fußball sofort einem leichten Gähnreiz. Welche Theorie würde Gianna nun aufstellen? Es geschah hin und wieder, dass Gianna aus heiterem Himmel einen Prominentennamen ausrief und ihm irgendetwas Mahrisches zuordnete (Halbblut, Befall, Wandelgänger), oder aber es folgte eine Zusammenfassung einer ihrer abstrusen Träume, die offensichtlich von der großen bunten Medienwelt genährt wurden. Mit Mesut Özil konnte ich allerdings gar nichts anfangen.
»Hier!« Gianna eilte zu mir herüber, zog die Zeitung von gestern unter den Zwiebelschalen hervor und blätterte in ihr herum, bis sie die entsprechende Seite gefunden hatte. Mit den Fingerknöcheln klopfte sie auf einen Fußballbericht mit riesigem Foto. Langweilig. »Das ist er. Er hat auch so seltsame Augen. Wie Angelo.«
»Na jaaaa«, sagte ich ablehnend, nachdem sie mir die feuchte Zeitung vor die Nase geschoben hatte. Gianna hielt immer noch Abstand. Wir hatten zwar unser altes Obstsalatritual wieder aufgenommen, aber ich durfte nur dabeisitzen und zuschauen, nicht schnibbeln. Es sollte mir recht sein, ich war nie besonders erpicht auf Hausarbeit gewesen, aber ihr Verhalten kränkte mich nach wie vor. Es war eine unüberbrückbare Distanz zwischen uns entstanden. Wahrscheinlich hatte ich mir nur eingebildet, dass wir Freundinnen gewesen waren. Und was blieb ihr anderes übrig, als mich einigermaßen nett zu behandeln? Sie war die Partnerin meines Bruders. Sie musste das tun, ob ihr danach war oder nicht.
Dennoch waren wir hier zusammengekommen, um die Ereignisse von gestern Nacht zu besprechen. Colin hatte mich kurz vor Sonnenaufgang zurück nach Hause gebracht. Als ich aus meinem komaartigen Schlaf erwacht war, tumb und orientierungslos wie nach einer Narkose, hatten wir uns schon auf der Rückfahrt befunden. Trotz meiner Betäubung wälzte ich nur einen Gedanken: Würde der Skorpion noch da sein? Oder hatte er sich bereits wieder davongeschlichen, wie er es im Morgengrauen zu tun pflegte? Es war wohltuend, sich nur auf diese Kleinigkeit zu konzentrieren. Doch ich kam zu spät. Er war nicht mehr da. Ich hatte mich trotzdem sofort ins Bett gelegt, wo ich mich zwar allein fühlte, aber einigermaßen von den Strapazen der Nacht erholen konnte, und gewartet, bis die anderen wach wurden.
An Colins und meiner Abmachung hatte sich glücklicherweise nichts geändert; wir würden heute Abend gemeinsam nach Pietrapaola fahren, um einen genaueren Blick auf Angelo zu werfen. Mein gestriger Blick war jedoch schon exakt genug gewesen, um zu wissen, dass Angelo und Mesut Özil so viele Gemeinsamkeiten hatten wie Schlagsahne und eine Gewürzgurke.
»Doch!«, beharrte Gianna und tippte auf seine Augen. »Ich sag ja nicht, dass er so hübsch ist wie Angelo, auch wenn er hübsch ist – das ist er, Ellie! Für einen Fußballer jedenfalls! Aber seine Augen sehen aus wie gemalt. Genau wie bei Angelo.«
»Özil hat Glubschaugen«, erwiderte ich kritisch. »Richtige Glubschaugen. Angelo hat keine Glubschaugen.«
»Oh Ellie«, seufzte Gianna und gab auf. »Das Abstrahieren liegt dir nicht, was? Natürlich hat Angelo keine Glubschaugen, aber bei ihm ist
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