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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Angelo entdeckte. Er saß mit dem Rücken zu uns am Klavier, auf den Beinen ein Bündel Noten, das er durchblätterte. Sein linkes Knie wippte im Takt der Musik, die aus den Boxen dröhnte, wieder irgendetwas Weichgespültes auf Italienisch, was ich in dieser gelösten Stimmung um mich herum sogar ertragen konnte.
    Dieses Mal konnten Colin und ich uns nicht in eine versteckte Ecke zurückziehen, da nur noch wenige Tische frei waren. Es blieb uns nichts anderes übrig, als uns in der Mitte der Bar niederzulassen, gut sichtbar für alle anderen und leider ohne direkten Blick auf Angelo. Der hochgeklappte Deckel des Pianos verbarg ihn.
    Ich setzte mich auf meinen Korbstuhl, doch Colin blieb stehen und ließ seine Augen wandern, als habe er etwas gespürt oder gehört, kein Wittern, sondern vielmehr eine Irritation, sehr menschlich, was wiederum mich irritierte.
    »Was ist?«, fragte ich gedämpft. »Noch ein Mahr?«
    Er setzte sich neben mich und schüttelte den Kopf. »Nein. Es ist eher …« Wieder lauschte er. Ich blickte mich alarmiert um. Ein paar Meter abseits von uns standen zwei Frauen auf und sahen zu uns herüber. Nein, sie sahen nicht nur zu uns herüber – sie gafften uns an. Ging es etwa jetzt schon los? So gerne ich auch allein war und sosehr ich Menschenmassen verabscheute, an diesem Abend sollten sie bleiben, bitte. Keine neuen Fluchten wegen uns. Colin war gesättigt, selbst Gianna hatte sich vorhin näher an ihn herangewagt als sonst. Es gab keinen Grund, vor ihm davonzulaufen. Doch die beiden Frauen nahmen nicht Reißaus, sie kamen sogar näher, tuschelnd und gestikulierend, die eine beruhigend, die andere sichtlich aufgewühlt.
    »Oh my god …«, murmelte Colin, sein Blick nicht minder fassungslos als der Gesichtsausdruck der einen Frau; ich schätzte sie auf Mitte vierzig, vielleicht sogar älter, insgesamt eher unauffällig. Schwarze, kurze Haare mit grauen Strähnen, figürlich ein wenig aus dem Leim gegangen, auffallend große, dunkle Augen. Was mich an der Situation aber am meisten frappierte, war, dass Colin englisch geredet hatte. Dass er gälisch sprach, ja, das kannte ich, und ebenso sein italienisches Gefrotzel mit Gianna. Doch ich hatte ihn nie zuvor Englisch sprechen hören. Es musste mit dieser Frau zu tun haben, die nun näher kam, ohne ihre Begleitung, in zögernden kleinen Schritten, ihr dunkler Blick auf Colins Hinterkopf gerichtet. Noch einmal murmelte Colin etwas Englisches. Es klang fast verzweifelt.
    Ich kapierte gar nichts mehr. Ich war mir nur in einem sicher: Diese Frau war kein Mahr. Sie war eine ganz normale Frau kurz vor den Wechseljahren, sie hatte nichts Mystisches an sich, sie war sicher eine nette und patente Person, aber nichts, was einen zu britischen Stoßgebeten veranlassen konnte. Nun kam sie neben unserem Tisch zum Stehen und tippte Colin vorsichtig auf die Schulter. Sein Gesicht nahm eine unverbindliche Höflichkeit an, während er sich zu ihr umdrehte.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sprach die Frau ihn in einem kultivierten Englisch an, das ich mühelos verstehen konnte. »Ich wollte nur …« Sie stockte. »Oh my god«, flüsterte nun auch sie.
    Meine Ungeduld begann mich wütend zu machen. Würde mir endlich mal jemand sagen, was hier vor sich ging? Ja, Colin sah anders aus als die meisten Menschen, aber war das ein Grund, ihn dermaßen anzustarren und auch noch anzusprechen? Hatten die Leute denn gar kein Benehmen? Und warum tangierte es ihn so sehr? Es sollte ihn nicht aus der Fassung bringen, er kannte das doch.
    Ich wollte dazu ansetzen, die Frau zusammenzustauchen und zurück zu ihrem Platz zu schicken, doch als ich in ihre aufgerissenen Augen schaute, kamen die Erinnerungen zurück wie Rachegötter. Diese Augen kannte ich … Ich kannte sie! Nicht nur die Augen, sondern auch ihren weichen Mund, damals noch mädchenhaft und füllig, nun von kleinen Fältchen umgeben und etwas schmaler, doch es war jener Mund, den ich hatte küssen wollen, als ich in der Achtzigerjahre-Disco in Colins Erinnerungen gerutscht war. Sie war es. Sie war die junge Punkerin gewesen, in die Colin sich verliebt hatte, im London der Achtzigerjahre, als Colin noch Schlagzeug spielte und in U-Bahn-Schächten hauste. Ein Straßenkind, dem der Zeitgeist eine Art Lebensgrundlage verschaffte. Er war kurz davor gewesen, glücklich zu werden, weil er Freunde hatte, Freunde und dieses Mädchen, und erneut hatte Tessa ihm alles zerstört.
    Jetzt traf sie ihn wieder, an einem anderen Ort zu

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