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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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seiner dicken Finger in meine Haare zu stecken. »Aber kämmen sollteste dich mal wieder, Stürmchen. Siehst aus wie der Struwwelpeter.«
    »Danke fürs Gespräch«, sagte ich würdevoll. »Ich werde jetzt wieder reingehen und weiterschlafen.« Falls ich das nach dieser absurden nächtlichen Begegnung überhaupt konnte.
    »Nee, nee, Fräulein, das wirste nicht. Du hast dir eben in die Hose gemacht, oder? Als du mich gehört hast?«
    Ich rieb meine Oberarme, an denen ich Lars’ festen Griff immer noch spürte. »Kann sein.«
    »Dann komm mit. Ich zeig dir was. Na, komm schon … Wollte ich dir die ganze Zeit schon zeigen, aber deine Mutti hat mich ja nicht gelassen.«
    Er löste sich von der Mauer, an die er sich während unseres Gesprächs gelehnt hatte, und schritt forsch voraus, der Unterführung entgegen. Aber dort wollte ich nicht hin. Dort ging es hinauf zur Straße, zur Tankstelle und … zu Angelo. »Komm!«, forderte Lars mich erneut auf. »Los, Bewegung! Und keine Ausreden! Ich hab dir gesagt, dass Ausreden bei Lars nicht zählen.«
    »Ich kann nicht.«
    »›Ich kann nicht‹ liegt auf dem Friedhof und ›Ich will nicht‹ liegt nebendran.« Lars kehrte zu mir zurück und griff nach meiner Hand. »Hat mein alter Herr immer gesagt. Kriegen meine Schüler täglich zu hören. Du kommst mit.«
    Ich wollte um diese späte Stunde keinen Aufruhr anzetteln. Außer mir schliefen zwar alle anderen nach hinten raus; Mama und Herr Schütz übernachteten sowieso in einem nahe gelegenen Hotel (hoffentlich in getrennten Zimmern). Aber wenn Lars und ich weiter miteinander stritten, würden Gianna und Paul aufwachen und ich hatte ihnen genug Ärger bereitet. Also ließ ich mich seufzend hinter Lars herschleifen. Das Laufen war ungewohnt; mehr als die Strecke zum Klo und gestern Abend nach oben zu Tillmann hatte ich in den vergangenen acht Tagen nicht zurückgelegt. Doch meine Muskeln begannen sich recht schnell wieder an das zu erinnern, was sie konnten, und meine Schritte wurden flüssiger und kraftvoller, je näher wir der Tankstelle kamen. Vielleicht wollte mein Körper auch nur fluchtbereit sein. Denn Lars nahm tatsächlich die Biegung zu Angelos Haus.
    Er wollte zu ihm! Ich schloss meine Augen, ein reiner Schutzreflex. Wenn ich ihn nicht sehen konnte, konnte er mich nicht sehen, schon als Kind hatte ich damit schwierige Situationen zu überbrücken versucht – dabei konnte er sowieso nichts mehr sehen. Doch in der Dunkelheit und an Lars’ Hand, die ich nun umklammerte wie ein kleines Mädchen und von der ich mich weiterführen ließ, fühlte ich mich sicherer. Schon nach wenigen Schritten kam er wieder zum Stehen.
    »Augen auf, Sturm. He! Augen auf, hab ich gesagt!«
    Ich gehorchte widerstrebend. Es dauerte zwei bis drei flache Atemzüge, bis ich mich davon überzeugt hatte, dass ich wach war und nicht träumte. Doch ich war wach. Das hier war keine Halluzination, dazu waren der Aschegeruch zu stark und die Reste der Glut zu heiß. Angelos Haus war bis auf die Grundmauern heruntergebrannt. Von dem Anwesen war nichts mehr übrig außer einem Haufen verkohltem Schrott. Den Garten hatte es auch erwischt; die Bäume hatten in der Feuersbrunst sterben müssen, der Pool war nur noch eine schwarze, stinkende Suppe, das Eisentor durch die mörderische Hitze der Flammen verbogen. Keine Grille sang mehr. Keine Motte würde hier jemals wieder in einer Kerzenflamme sterben. Wenn es regnete, würde sich nichts regen. Keine winzigen Frösche, die über den dampfenden Boden hüpften und im Poolwasser ertranken. Keine Igel auf nächtlicher Pirsch. Es war vorbei.
    »Na? Biste stolz auf mich?« Lars grinste mich Beifall heischend an und breitete seine Arme aus.
    »Ich … Das warst du?«
    »Wer sonst? Es war echt krass, ich hatte schon Angst, dass die Tanke mit in die Luft fliegt …« Lars klopfte sich stolz auf die Brust, bis seine Goldkettchen klimperten. »Die Lusche soll sich nicht mehr in deine Nähe wagen. Und wenn er es tut, sag mir Bescheid, ich kenn ein paar Russen, die gerne fremde Knochen brechen, wenn man sie anständig dafür bezahlt.«
    »Oh Mann … du hast es echt nicht verstanden …«, stöhnte ich.
    »Hab ich wohl. Ich schieb’s nur weg. Trotzdem, die Russen sind gut. Diskret und verlässlich. Das ist ihr Motto …«
    »Ich brauche keine Russen«, erstickte ich seine Mordlust. »Und ich will hier weg, ich hab – ich hab Angst. Ich hab das Gefühl, er ist noch hier.«
    »Ist er nicht. Das Mannweib hat gesagt, er

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