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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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würde sich nicht mehr in eure Nähe wagen. Aber ich dachte, sicher ist sicher.« Das Mannweib. Damit meinte er vermutlich Morpheus.
    »Warum bist du überhaupt mitgekommen? Wer hat es dir gesagt?«, fragte ich, weil die Neugierde meine Angst für einen kurzen Moment verdrängte.
    »Deine Mutti. Ich glaub, sie dachte, sie jagt mich damit aus dem Haus. Dass ich denke, sie ist verrückt und so. Na, ihr seid alle bisschen verrückt, ist ja nix Neues. Aber auf diese Weise konnte ich dich wiedersehen und …«
    »Und?«
    »Na, dir helfen. Was denn sonst?« Er sah mich kopfschüttelnd an.
    »Hm«, machte ich reserviert. »Ich dachte eigentlich, ich bin für dich so eine Art wirbelloses Wesen ohne Hirn, das man ununterbrochen erniedrigen und quälen muss.«
    Lars lachte dröhnend und schlug mir so fest auf den Rücken, dass ich husten musste und mich beinahe verschluckte.
    »Blacky wollte, dass ich dich vor Wut schäumen lasse. Und das geht bei Weibern immer am besten, wenn man sie für dumm verkauft.« Er griff um meine Schultern und zog mich an seine haarige Brust, mehr schlecht als recht versteckt unter einem Ed-Hardy-Trägershirt. »Bist doch mein Stürmchen, oder? Und mal unter uns: Dein Blacky hat auch ’nen leichten Schatten.«
    »Mehrere sogar«, entgegnete ich kraftlos. Ich wehrte mich nicht gegen Lars’ plötzlichen Übergriff – es hätte auch nicht viel genützt, denn das hier war keine Umarmung, das war ein Schwitzkasten –, sondern registrierte resignierend, dass seine unverhoffte Sympathiebekundung meine Schleusen wieder zu öffnen drohte. Noch ein nettes Wort oder eine weitere Bemerkung über Colin und seine diversen Schatten und ich würde zu heulen anfangen.
    »Heian Shodan!«, rief Lars im Befehlston, nachdem er prüfend zu mir hinuntergesehen und meine zitternden Lippen bemerkt hatte. »Hier wird nicht geflennt.«
    »Was?«
    »Heian Shodan! Die kannst du noch! Unten am Strand …«
    Heian Shodan. Das war jene Kata, an der er mit mir gefeilt hatte. Nein, die würde ich nicht mehr zusammenbekommen. Das war alles verschüttet und nicht eine einzige Bewegung hätte ich beschreiben können, das Ausführen mal ganz außer Acht lassend.
    »Jetzt besser nicht. Ich fühl mich nicht gut. Außerdem ist es stockdunkel, ich hab ewig nicht trainiert, kaum gegessen und …«
    »Keine Ausreden, Sturm, Ausreden gelten bei mir nicht, das weißt du. Huckepack!« Er deutete auf seinen Rücken. »Spring auf! Ich trag dich.«
    Ach, warum eigentlich nicht, dachte ich ergeben. Er würde ja doch nicht lockerlassen, bis ich von Krämpfen gepeinigt am Boden lag. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass es seine infantile Seite wachkitzeln würde, wenn er ein Mädchen auf seinem Rücken durch die Nacht schleppte. Erst fing er an zu rennen, dann wie ein Pferd zu galoppieren, Sprünge einzulegen und unvermittelt Zirkel zu drehen oder Haken zu schlagen, bis ich mich kreischend an seinem ausrasierten Stiernacken festklammerte.
    Am Strand ließ er mich fallen wie einen Sack Zement.
    »Mensch, lach doch mal, Sturm!«
    »Ich kann nicht …«
    »Lachen, hab ich gesagt!«, schrie er mich an. »Du sollst lachen, nicht immer nur rumpiensen und jammern und dir in die Hosen scheißen, das hier ist dein Leben, also steh auf und lach! Jetzt!«
    »Verdammt, mein Vater ist tot!« Ich brüllte so laut, dass mir davon beinahe übel wurde. »Mein Vater ist tot, verstehst du das nicht? Es gibt nichts mehr zu lachen, mein Vater ist tot, er ist tot, tot, tot, tot!« Meine Stimme jagte über das Meer und wieder zurück, brachte mein Herz zum Vibrieren und meine Nerven zum Zittern. »Er ist tot!« Ich hieb meine Fäuste in den Sand, bis die Haut an meinen Händen aufriss. »Er ist tot.«
    Lars ließ mich gewähren, sah nur stumm zu, wie ich tobte, heulte und fluchte, bis er sich neben mich in den Sand setzte und meine Hände ergriff.
    »Ist ja gut. Ist doch alles gut«, brummte er, als ich schluchzend gegen ihn sackte, und tätschelte meinen Hinterkopf. »So kenn ich dich. Das ist meine Sturm. Zeternd und wütend. Das ist schon viel besser als Rumpiensen. Steh auf. Komm schon, mein Schatz. Aufstehen.« Lars griff unter meine Achseln, erhob sich und zog mich dabei mit einem Ruck auf die Füße. Ich weinte ohne Tränen, den Kopf hängend und die Arme schlaff.
    »Heian Shodan.« Nun war es kein Befehl mehr, sondern ein Ratschlag. Ein heiliger Ernst lag in diesen zwei Worten. Ich hörte auf zu schluchzen, richtete mich auf und straffte mein Kreuz,

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