Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
tat, konnte nicht ohne Spuren bleiben. Wahrscheinlich war sein Hunger in diesen Tagen und Nächten noch stärker als sonst. Gleichzeitig sollte seine Stärke voll und ganz Tillmann zugutekommen, auch wenn der sich mit dem Kreuz auf der Karte einen eigentlich unverzeihlichen Schnitzer geleistet hatte.
    Ich kniete mich vor Tillmanns Bett und sah dabei zu, wie seine Lider schwer wurden und hinabfielen. Vorsichtig fuhr ich durch seine Haare, die vom Wind und der Sonne spröde geworden waren.
    »Ich will dir noch etwas sagen, aber bevor ich es tue, sollst du wissen, dass es nichts mit Sex oder Beziehungswünschen oder Ersatzliebhabertum oder sonst was zu tun hat. Es ist nur ein Gefühl, freundschaftlich und losgelöst von allem anderen, aber es ist das Einzige, wessen ich mir im Moment noch sicher bin.« Ich atmete tief durch, um mich vorzubereiten, doch als ich zu sprechen begann, fiel es mir leichter als erwartet. »Ich liebe dich, von ganzem Herzen. Vergiss das nicht. Ich liebe dich, Tillmann. Und ich danke dir für all das, was du für mich getan hast.«
    Er erwiderte meine Worte nicht, natürlich tat er das nicht, er war ein Kerl und ich nahm sowieso an, dass er nicht das Gleiche für mich empfand. Aber das musste er gar nicht.
    Es war beruhigend, es ihm zu sagen und dabei zu fühlen, dass es die Wahrheit war, weder genährt aus Blendung noch aus traumgetränkten Irrwegen, sondern entstanden aus dem, was wir miteinander und ohne einander erlebt hatten.
    Heile ihn, Colin, dachte ich, als Tillmann in einen leichten Schlummer gefallen war und ich von fern den gleichmäßigen Rhythmus von Louis’ Hufen nahen hörte.
    Bitte mach ihn wieder gesund.

GEBOREN, UM ZU LEBEN
    Ich wurde schon in aller Frühe davon wach, dass jemand betont leise durchs Haus schlich und sich draußen auf der Terrasse zu schaffen machte, dann wieder durch den Flur geisterte, etwas aus der Küche holte, zurück nach draußen tapste – und dabei mehr Lärm veranstaltete, als wenn er sich ganz normal verhalten hätte. Nein, es war eine Sie. Gianna. Das konnte nur Gianna sein.
    Sie wollte mich auf gar keinen Fall wecken und hatte bereits in den ersten Sekunden das Gegenteil erreicht. Doch ich nahm es ihr nicht übel, denn ich hatte fester und gelöster geschlafen als sonst, was sicher auch mit Tillmanns und meiner Aussprache zu erklären war. Ich war weit davon entfernt, mich wie neugeboren zu fühlen, das war ein Zustand, den es für mich nicht mehr geben würde. Aber meine Augen waren spürbar abgeschwollen und der Druck auf meiner Stirn, der mein Weinen seit jeher begleitete, hatte nachgelassen.
    Ich streckte mich ausgiebig und kuschelte mich dann wieder so gemütlich wie möglich in meine dünne Decke. Draußen sprang der Volvo an. Aha. Gianna fuhr einkaufen. Anscheinend hatte sie ihren Schock über das, was geschehen war, verarbeitet und übernahm wieder das häusliche Regime, zum Schrecken aller Anwesenden. Hoffentlich schlugen Mama und sie sich nicht gegenseitig die Köpfe ein.
    Mit geschlossenen Augen versuchte ich mich an gestern Abend zu erinnern … an das Gespräch mit Tillmann und dann … ja, da war noch etwas geschehen, Stunden später. Kein Traum, sondern Wirklichkeit, obwohl es sich im ersten Moment wie ein Traum angefühlt hatte – aber einer von der unerwünschten Sorte.
    Ich war mitten in der Nacht aufgewacht, nicht weil ich ein Geräusch oder Stimmen gehört hatte, sondern weil mein Körper entschieden hatte, dass er jetzt genug geruht hatte und dringend frische Luft brauchte. Und zwar auf die direkteste Weise, nicht in Form eines geöffneten Fensters hinter verschlossenen Läden. Er wollte nach draußen, ins Freie. Da alle anderen schon zu Bett gegangen waren, hatte ich mich erhoben, mir eine dünne Strickjacke übergeworfen und war zu der Terrassentür gegangen; nur wenige Meter, aber für mich eine Art Weltreise.
    Ich traute dem allen da draußen nicht mehr. Ich hatte mich ihm verweigert, nicht ausschließlich deswegen, weil ich den anderen nicht begegnen wollte, sondern weil mich die unsinnige Furcht verfolgte, dass er sich zeigen würde, wenn ich mich zeigte. In meinem Zimmer war ich sicher, doch sobald die Sonne auf meine Haut scheinen würde, würde er, blind und entstellt, wie er war, aus seinem Haus kriechen, mich aufspüren und sich an meine Fußgelenke klammern, bis ich nachgab und er mich mit sich ziehen konnte, damit ich für ihn sehen würde.
    Ich träumte nicht mehr viel, seitdem es geschehen war, doch wenn, waren

Weitere Kostenlose Bücher