Dornenkuss
meinen Schrecken ein wenig, und ohne dass ich darauf vorbereitet war, machte er Platz für einen alles verzehrenden Neid, der die Tränen aus meinen Augen schießen und mich würgend schluchzen ließ. Mein Bruder wurde Vater … Gianna und er bekamen ein Kind. Sie würden eine Familie gründen. Sie hatten eben so glücklich ausgesehen! Sie hatten ihren Neuanfang gefunden, nicht geplant, sondern überraschend und wahrscheinlich ziemlich karriereschädigend, aber es war ein Neuanfang. Ich wollte noch immer kein Kind haben, daran hatte sich nichts geändert, ich war viel zu jung dafür. Aber ich spürte die meterdicke steinerne Mauer vor mir, die ich selbst hochgezogen hatte – und nun war ich zu feige, sie einzuschlagen. Niemand anderes konnte für mich eine Zukunft errichten. Ich musste es selbst angehen.
Es gibt nichts mehr zu tun, hatte ich gedacht, nachdem ich Angelo geblendet und mich von ihm weggedreht hatte, um hinunter ans Meer zu gehen. Ich hatte mich geirrt. Es gab noch etwas zu tun. Ich hatte mein Versprechen nicht eingelöst.
Nun tat ich es und meine Entscheidung war eine Sache von Minuten. Colin musste gewusst haben, wie schnell sie fallen würde, wenn ich erst einmal aufrichtig über seinen Wunsch nachdachte, ohne dabei nach meinem Vorteil zu suchen und die Wahrheit zu leugnen. Ich hatte gar keine Wahl. Alles andere führte ins Nichts und würde uns eine lebenslange Qual bescheren. Colins Leben würde ewig andauern. Das durfte ich ihm nicht antun.
Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles. Das mit dem Ertragen hielt ich für diskussionswürdig. Das mit dem Glauben auch. Doch das Hoffen … Die Liebe hofft alles. Ich brauchte Hoffnung. Sie war das Einzige, was mir helfen konnte. High Hopes.
Ich stand auf, lief die Treppe hoch und trat, ohne anzuklopfen, in Tillmanns Zimmer. Er lag auf dem Bett, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und schaute den letzten Strahlen der Sonne zu, die rosafarbene Muster an die schräge Decke malten. Ich setzte mich still neben ihn, bis ich endlich meine Frage gefunden hatte.
»Wie viel kann ein Mensch ertragen? Wie viel?«
Er überlegte lange, bevor er antwortete, sachlich und durchdacht wie immer.
»Alles, glaube ich, solange man sich sicher ist, das Richtige zu tun. Auf dem richtigen Weg zu sein.«
»Hilfst du mir dabei?«
»Immer.«
Schweigend verharrten wir, bis es dunkel geworden war. Ich musste noch einmal mit Gianna sprechen, aus zweierlei Gründen. Zum einen wollte ich ihr wenigstens sagen, was ich von Colin über die Wirkung von Mahren auf schwangere Frauen wusste; zum anderen gab es etwas, was nach wie vor in mir bohrte, ein letzter Zweifel, den ich für immer ausräumen oder wenigstens klären wollte. Ich fand sie im Schlafzimmer, wo sie ihre Klamotten aus dem Schrank riss und in den Koffer stopfte.
»Gianna … ich … ich muss dir noch etwas sagen. Wegen des Babys. Ich will dir keine Angst machen, aber …«
»Sag nichts, Ellie.« Sie legte eine Jeans beiseite und sah mich ernst an, als wüsste sie genau, was mich beschäftigte. »Ich werde dieses Kind lieben. Ich werde es lieben. Nichts anderes zählt, okay? Ob da nun ein kleiner Mahr zur Welt kommt oder ein wütendes, rotgesichtiges Menschenwesen. Ich werde es lieben. Ich liebe es jetzt schon. Ich hab es die ganze Zeit geliebt.«
»Hast du gewusst, dass du schwanger bist?«
»Geahnt. Irgendwie hab ich es geahnt. Ganz am Anfang, als wir hier waren, bin ich mal vom Bett aufgestanden und hatte ein komisches Gefühl im Bauch, so, als würde sich etwas darin einnisten, aber friedvoll, nicht gewalttätig. Doch ich dachte, es kann nicht sein, nicht bei all dem Stress und der Panik … und meinen Zyklusrechnereien, die ich … äh … ach, vergiss es. Wenn ich ehrlich bin, konnte ich noch nie gut rechnen. Ja, und jetzt hat Colin gesagt, dass ich mich von ihm fernhalten soll, bis es da ist. Danach mimt er gerne den dauerabwesenden Patenonkel, der die schönsten und teuersten Geschenke schickt.«
»Colin war bei dir?«
»Ja, gerade eben, als du oben warst.« Gianna deutete auf das Fenster. »Er hat Louis in den Stall gebracht und ist dann an den Strand gegangen. Er will nach Tillmann sehen, sobald wir weg sind.«
»Gianna, ich fahre nicht mit euch. Ich bleibe hier, bis … bis Tillmann wieder ganz gesund ist. Und da ist noch etwas. Vielleicht bin ich kleinlich, aber Angelo hat mir so einiges ins Ohr gepflanzt und wahrscheinlich ist es das Beste, wenn ich es anspreche.«
Gianna löste ihren
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