Dornenkuss
Blick vom Fenster und blickte mich verwundert an. »Über mich? Er hat etwas über mich gesagt?«
»Nicht direkt. Ich hab es durch Zufall herausgefunden. Warum hast du mich Elisa genannt? Was war der wirkliche Grund? Denn Sabeth wird von ihrer Mutter Elsbeth genannt, nicht Elisa. Das weiß ich von Angelo.«
Gianna verzog ertappt den Mund und ließ sich auf das Bett plumpsen. »Scheiße … Jetzt wird es peinlich. Ich war mir sicher, dass sie Elisa genannt wird. Wird sie nicht?«
»Nein. Ich hab’s gegoogelt.« Das hatte ich tatsächlich, mit meinem Handy. Hanna nannte Sabeth Elsbeth.
»Oje, oje, ist das peinlich. Ich geb’s zu, ich hab es lange nicht mehr gelesen …«
»Ja, und genau das passt nicht. Wie kannst du mich nach einer Romanfigur benennen, die du gar nicht mehr genau in Erinnerung hast? Es war eine Ausrede, oder?«
Gianna begann nervös mit ihrer Halskette zu spielen, indem sie den Anhänger mit einem ratschenden Geräusch über die Silberglieder fahren ließ. Hin und her, hin und her.
»Gianna, du hast mich Elisa genannt, weil du wusstest, dass das der Kosename von meinem Vater für mich war. Oder? Du wusstest es. Scheiße …«, fluchte ich, als sie nicht widersprach. Ich hatte keine Nerven mehr für weitere Enthüllungen.
»Du hast recht«, flüsterte Gianna schließlich und ließ endlich wieder ihre Kette los. »Ich hab dich automatisch Elisa genannt, weil dein Papa dich so nannte.« Sie schaute zerknirscht auf den Boden. »Und als es dir auffiel, hab ich nach einer passenden Ausrede gesucht, und wie das halt so ist, wenn man schlecht lügen kann, ist es in die Hose gegangen.«
»Ich selbst hab es auch nicht gemerkt. Angelo hat mich darauf aufmerksam gemacht«, erklärte ich ungeduldig. »Aber es hat mein Misstrauen dir gegenüber genährt. Anscheinend ja begründet.« Ich hasste den Gedanken, dass Angelo in diesem Punkt recht behalten hatte. »Also hast du doch mit meinem Vater über mich gesprochen. Du kanntest ihn, oder?«
»Kennen ist zu viel gesagt, aber …« Plötzlich schimmerten Tränen in Giannas Augen und ich bereute es, sie so angefahren zu haben. »Ellie, ich hab dir schon mal gesagt, dass ich ein Helfersyndrom habe, und er wirkte an diesem Abend irgendwie bedrückt. Als wolle er mit jemandem reden und als würde ihn etwas beschäftigen. Weißt du, warum ich beim Journalismus nie auf einen grünen Zweig gekommen bin? Weil ich immer zu viel und zu lange zugehört habe, obwohl ich eigentlich schon alle Infos für meinen Text zusammenhatte. Ich habe auch deinem Vater zugehört. Er hat mir von dir erzählt, nur positive Dinge, er meinte, ich erinnere ihn an dich, und die Art und Weise, wie er dabei Elisa sagte, hab ich nie vergessen können.«
»Wie kamt ihr denn überhaupt auf mich?«, fragte ich beklommen.
»Es ging auf diesem Kongress unter anderem um Hochbegabung, und als ich ihm anschließend eine Frage dazu stellte, fing er plötzlich an, von dir zu plaudern … Nichts übermäßig Privates, glaub mir, Ellie.«
Hochbegabung? Mein Vater hatte mich für hochbegabt gehalten? Und warum wusste ich davon nichts?
»Konntest du mir das denn nicht einfach sagen?«, fragte ich Gianna vorsichtig. »Ich hatte dich doch schon in Hamburg danach gefragt. Was war so schlimm daran?«
Gianna zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hätte ich das. Ja. Aber ich selbst habe es immer gehasst, wenn meine Mutter vor Fremden über mich geredet hat, ich fand das unverschämt, also hab ich es für mich behalten und mir eine Ausrede geangelt. Denn ich war ja eine Fremde für dich, oder? Und für deinen Vater sowieso. Aber ich mochte dich bereits. Und Paul auch …«
»Nein, ich glaube nicht, dass du eine Fremde warst.« Ich schüttelte langsam den Kopf, mehr verwundert als verärgert über Papas übergroße Sorge und seine verzweifelten Versuche, meinem verkorksten Dasein auf die Sprünge zu helfen. Oder hatte er wirklich nur reden wollen? Schwer vorstellbar. »Ich glaube, du warst weder für mich noch für Papa eine Fremde. Keinen Augenblick lang.«
Gianna erwiderte nichts, aber an ihrem Blick erkannte ich, dass es für sie genauso gewesen war und dass sie um Papa trauerte, weil sie ihm nie für seine Kuppelversuche danken konnte. Unsere Wege hatten sich treffen müssen. Hätten sie das nicht getan, hätte uns unser Leben lang etwas gefehlt, ohne dass wir gewusst hätten, was es war. Ich hätte sie gerne noch einmal umarmt, aber ich scheute mich davor, zu viel Druck auf ihren Bauch auszuüben.
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