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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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verflogen, doch sein Nachhall ließ uns beide gleichzeitig gähnen.
    »Ich glaube, ich bin müde«, sagte Tillmann verwundert. »Richtig müde. Bettschwer.« Ja, er sah mindestens so müde aus, wie ich mich fühlte. Noch einmal öffnete er seinen Mund, und ehe ich seine scharfen Raubtierzähne im Dunkel aufleuchten sah, tat ich es ihm gleich. Wir gähnten um die Wette. Es wäre töricht gewesen, diesen Zustand nicht auszunutzen. Unsere Kleider waren ohnehin im strömenden Regen aufgeweicht, weil wir vergessen hatten, sie ins Zelt zu legen, bevor wir es betreten hatten. Nur unsere Handtücher waren trocken geblieben. Wir hatten sie neben den Steinen zurückgelassen, wo die Hitze unseren Schweiß sofort wieder aus dem dicken Frottee gezogen hatte.
    »Ich will jetzt nicht nach Hause. Erst recht nicht mit einem Saunatuch um die Hüften«, stellte ich klar, dass ich bei ihm bleiben würde. Doch Tillmann hatte schon einen alten grünen Armeeschlafsack aus dem hinteren Teil des Schwitzzelts gekramt und breitete ihn neben den Steinen aus. Er war großzügig geschnitten, aber eben nicht so großzügig, dass man sich zu zweit in einem für platonische Freunde angemessenen Abstand hineinlegen konnte. Einen zweiten Schlafsack gab es nicht. Schniefend kniete ich in der Hütte und sah dabei zu, wie Tillmann den Reißverschluss öffnete und sich unter die wärmenden Fasern schob. Es war ein unglaublich hässlicher Schlafsack, aber das himmlischste Lager, das ich mir in diesem Augenblick vorstellen konnte. Und da Tillmann den Reißverschluss nicht wieder zuzog oder mich gar wegschickte, verwarf ich meine Überlegungen zum Thema angemessene Distanzen und schob mich frierend neben ihn. Unsere Hände berührten sich, als wir gleichzeitig nach dem Reißverschluss griffen. Ich überließ es Tillmann, ihn zuzuziehen.
    Das, was wir hier taten, war angeblich das beste Mittel gegen Erfrieren. Das hatte ich mal in einem dieser Survival-Magazine gelesen, in denen Papa während unserer unwirtlichen Urlaube hoch im Norden gerne geschmökert hatte. Man legte sich zu zweit in einen Schlafsack. Nackt. Ich hatte mir das immer sehr romantisch vorgestellt. Trotzdem war ich froh, mir ein Handtuch um die bel étage gewickelt zu haben, bevor ich daran scheiterte, mich neben Tillmann in dieses knisternde Ganzkörperkondom zu quetschen, ohne ihn zu berühren. Dazu waren wir nicht anorektisch genug gebaut. Ich entschied mich notgedrungen für die Löffelchenstellung. Mit einem leisen Knurren, das ich als Wohlgefühl interpretierte, legte Tillmann seinen linken Arm um meine Schultern. Ich fühlte mich herrlich eingepackt, so herrlich, dass ich mutig genug wurde, um auch noch meine eisigen Fußsohlen gegen seine warmen Unterschenkel zu stemmen. Meine Lider wurden bleischwer. Das sanfte Kribbeln auf meiner Kopfhaut verriet mir, dass mein Haar zu trocknen begann.
    »Hmmm«, seufzte ich, ohne es zu wollen, und betete im gleichen Moment, dass Tillmann dieses Hmmm nicht in den falschen Hals bekam. Es war kein Aufforderungs-Hmmm und erst recht kein lüsternes Hmmm, sondern ein »Gleich schlafe ich ein« -Hmmm. Ich liebte kaum etwas so sehr wie die Gewissheit, in den nächsten Sekunden in den Schlaf zu fallen, einen erholsamen Schlaf, kein rastloses Herumwälzen, in dem sich immer noch genügend Gedanken bildeten, um die Ruhe trügerisch werden zu lassen. Nein, jetzt würde ich schlummern wie ein Baby. Tillmann hoffentlich auch. Er hatte es dringender nötig als ich.
    »Sorry«, murmelte er nach einigen Atemzügen. Ich war schon so weggetreten, dass ich mehrere Versuche benötigte, um zu antworten. Immer wieder rutschten die Worte weg, als ich sie mir schnappen wollte. Irgendwann gehorchte meine Zunge. »Macht nix«, lallte ich. Ich hatte die kleine Erhebung sehr wohl bemerkt, die sich in einem sehr eigenmächtigen Drängen gegen meinen Hintern drückte, aber ihr keine größere Bedeutung beigemessen. Wie hatte Colin im Sommer gesagt? »Löffelchenstellung. Gefährliche Schlüsselreize.«
    Plötzlich glaubte ich ihn neben uns zu spüren. Er sah uns an, wie wir dicht beieinander schliefen, vollkommen vertraut. Mochte das, was er sah. Gestattete es uns ohne Eifersucht und Missgunst, weil niemand besser wusste als er, dass ich nur ihn … nur ihn … Bevor ich meine Gedanken zu Ende führen konnte, war ich eingeschlafen.
     
    Nun hatte die Kühle der Nacht mein Bewusstsein aus den Träumen gekitzelt. Meine Schulter und mein Hals lagen im Freien; Tillmann hatte den

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