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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ich eigentlich noch nicht an der Reihe war. Statt einer Moby-CD wählte ich meinen liebsten Chill-out-Mix und gab ihn nach vorne zu Gianna, damit ich zu Fatal Fatal von DJ Pippi mit voller Blase und leerem Bauch meiner allerersten italienischen Sommernacht entgegenreisen konnte.

FATAL FATAL
    Als wir uns der Küste näherten und ich mich danach verzehrte, endlich ein Stückchen Meer zu erblicken – ich konnte es kaum verwinden, mich seit Stunden in Italien zu befinden und es noch nicht gesehen zu haben –, wurde Gianna auffällig kleinlaut. Wir sollten nicht zu viel erwarten und auf alles gefasst sein, gab sie immer wieder zu bedenken, bis sie schließlich gar nichts mehr sagte. Sie nickte nur noch, wenn Paul fragte, ob sein Navigationssystem ihn richtig leite, doch ich war überzeugt davon, dass es sich irrte. Es musste sich irren. Wir bewegten uns wieder von der Küste weg und einem Gebirgszug entgegen. Das war tatsächlich nicht das, womit ich gerechnet hatte.
    »Verkehrte Richtung!«, rief ich und beugte mich nach vorne, um auf das Display des Navis zu schauen. »Das kann nicht stimmen.«
    »Warum soll das bitte schön nicht stimmen?«, verteidigte sich Gianna aufbrausend. »Was passt dir denn nicht?«
    »Hier ist kein Meer«, antwortete ich lahm und merkte, dass ich mich anhörte wie ein verzogenes Kind. Doch genau so fühlte ich mich. Ich war ein kleines Mädchen, dem man statt des versprochenen Eises einen winzigen Lolli mitgebracht hatte, und das auch noch in der falschen Geschmacksrichtung. Hier würde es nicht einmal nach dem Meer riechen! Die Küste war mindestens zwanzig Kilometer weit weg. Stattdessen kroch der Wagen eine schmale Straße zu einer Art Festung hinauf, die sich beinahe drohend über uns erhob.
    »Was ist das für eine Burg?«, fragte ich, nun etwas höflicher, denn Giannas Anspannung wuchs sekündlich. Ihr Hals verschwand beinahe zwischen ihren hochgezogenen Schultern. Was beschäftigte sie? Ich hatte die Angst anderer Menschen schon immer spüren können und war mir absolut sicher, dass sie sich fürchtete. Aber wovor? Heute erwartete uns doch noch gar kein Abenteuer.
    »Das ist keine Burg, Ellie. Das ist der Ort, in dem mein Vater lebt. Verucchio.« Giannas Ton bedeutete mir unmissverständlich, dass ich gefälligst keine weiteren blöden Fragen mehr stellen sollte. Fahrig griff sie nach vorne und drehte die Lautstärke des CD-Players hoch.
    Vielleicht war ja auch Tanita Tikarams Twist In My Sobriety dafür verantwortlich, dass das Festungsstädtchen, dessen Häuser an abenteuerlich steilen Abhängen klebten, einen bedrückenden Eindruck auf mich machte, als der Volvo langsam hindurchrollte und die Bewohner uns mit ihren Blicken verfolgten. Zu diesen melancholischen Klängen konnte einen kein Ort dieser Welt in lebensbejahenden Optimismus versetzen.
    Gianna hatte ihrem Ruf als musikalische Allesfresserin während der letzten hundert Kilometer alle Ehre gemacht – wohlwollend formuliert. Meine Diktatur hatte sich nur einer kurzen Halbwertszeit erfreut. Gianna war ihr gegenüber im Vorteil, da sie vorne saß. Sie hatte sich nicht gescheut, eine ihrer selbst gebrannten Mixed-CDs in den Schlitz zu schieben, die Kopie einer alten Kassette, die sie auf ihrem PC digitalisiert hatte. Uns schlug eine wilde Mischung aus Radiomitschnitten sämtlicher Stilrichtungen um die Ohren. Die meisten Songs brachen mittendrin ab, weil Gianna beschlossen hatte, dass die Hälfte genügte, um sie zu kennen, oder der Verkehrsdienst dazwischenfunkte. Ihre digitalisierten Tapes waren vollkommen unberechenbar und so fuhren wir peinlicherweise zu dem auf volles Volumen gedrehten Eurobeats-Gassenhauer Please Don’t Go in eine Tankstelle ein und zu Give In To Me von Michael Jackson wieder heraus.
    »Ich bin halt ein Kind der Neunziger«, stopfte Gianna uns trotzig die Mäuler, als wir uns über ihren Musikgeschmack lustig machten. Immerhin sammelte sie ausschließlich Songs, die auf irgendeine Art und Weise Gefühle weckten, wenngleich diese Gefühle nicht immer erwünscht waren und erst recht nicht zu unserem Vorhaben und dem Ambiente um uns herum passten. Wie jetzt. Ich fühlte mich schon beim Durchfahren des Örtchens eingeschlossen und hatte keinerlei Bedürfnis, unser Auto zu verlassen. Obwohl Verucchio eine pittoreske Ansammlung von Mauern, Torbögen, Gässchen und Nischen war, hatte ich das Gefühl, mich hier vor nichts und niemandem verbergen zu können.
    »Sehr cool«, murmelte Tillmann anerkennend, der

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