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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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diesem Thema keinen Spaß verstand. Fügsam zog ich mich auf mein Schrankbett zurück, das den halben Raum blockierte, wenn es aufgeklappt war, und wartete darauf, dass Tillmann seine Körperpflege beendet hatte. Immerhin hatten wir ein Bad (rosa Fliesen und ein angelaufener Spiegelschrank) und die Möglichkeit zu duschen, Tillmann husch, husch, ich ausgiebig, obwohl das Wasser nur in einem dünnen Sprühregen aus dem verkalkten Duschkopf tröpfelte.
    Danach versuchte ich, ein Nickerchen zu machen und mich abzuregen, doch mein Kopf war zum Bersten voll. Wie in einer unendlichen Diashow zeigte er mir all die neuen Bilder, mit denen er heute konfrontiert worden war, und blendete dabei beklemmend häufig die Aufnahme des verlassenen Hauses ein, das mich so magisch angezogen hatte. Auch die Schlange schoss erneut auf mich zu.
    Eine Blindschleiche, hatte Paul gesagt. Gianna hatte auf eine Natter getippt. Doch in den Augen beider war die Schlange klein gewesen. Ich konnte nicht sagen, ob sie groß oder klein gewesen war – es war vor allem ihre aggressive Angriffsposition, die in meinem Gedächtnis haftete. So etwas hatte ich noch nie gesehen und eigentlich hätte es mich sofort in die Flucht treiben müssen. Stattdessen hatte ich ihr nahe kommen wollen. Ihre wunderschön gezeichneten Schuppen berühren. Ich hatte nach ihrem Biss gegiert. Es war, als ob ich ihn brauchte. Doch hatte sie wirklich mich beißen wollen? Mir war es eher so vorgekommen, als wolle sie mir zeigen, wozu sie imstande war. Eine Demonstration ihrer geschmeidigen Stärke und Schnelligkeit. Aber wozu? Im Gegensatz zu Gianna hatte ich mich vor Schlangen nie gefürchtet, jedoch auch nicht übermäßig für sie interessiert. Und ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals zuvor von Schlangen geträumt zu haben.
    Einen Moment lang war ich froh, dass Papa nicht bei uns war. Beschämt erkannte ich, wie er dieses spukhafte Erlebnis interpretieren würde. In diesem Punkt war er ein hoffnungsloser Freudianer. Schlangen waren Penisse. Ich biss in meine Fingerknöchel, um nicht zu lachen. Sorry, Papa, bei aller Liebe zu deinen psychologischen Interpretationen – mit Penissen hatte diese Episode nichts zu tun gehabt. Weder Sex noch Liebe hatten dabei eine Rolle gespielt. Eine größere, bedeutendere Sehnsucht schien dahinterzustecken – aber gab es die überhaupt?
    Erhitzt zog ich das dünne Laken von meinem Oberkörper und versuchte, mich wieder zur Vernunft zu bringen. Die Gefühle, die ich in meinen Träumen erlebte, waren oft intensiver und mächtiger als die im tatsächlichen Leben. Dennoch – oder gerade deshalb? – sollte ich ihnen nicht zu viel Bedeutung beimessen. Wahrscheinlich war es nur eine unselige Überlagerung von Ohnmacht und Wachtraum gewesen. Schließlich war ich auch mal als Hirsch durch einen Bach galoppiert und hatte mich dabei großartiger und stärker gefühlt, als ich es als Mensch jemals erleben würde. Also nur eine Finte meines Bewusstseins? Eine Spielerei meiner Sinne?
    Ich hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn Gianna orderte uns per Handy zum Restaurant La Rocca in der Nähe der Festungsanlage, wo Enzo uns zum Essen einladen wollte. Das konnte ja heiter werden.
    Ich nahm mir für alle Fälle eine Kapuzenjacke mit und zog eine Jeans an, da es im Sitzen und nach Sonnenuntergang sicher frisch werden würde. Doch als wir das Hotel verließen und durch die Gassen zur Festung hinaufliefen, konnte ich kaum fassen, wie warm die Luft über unsere Haut strich. Für ein paar Sekunden rückten sogar meine Kopfschmerzen in den Hintergrund, weil das Gefühl, gar nicht erst frieren zu können, mich in ein hellwaches, erquickendes Delirium versetzte.
    Auch Enzo hatte seinen Rauschzustand beibehalten. Gianna saß mit Leichenbittermiene neben ihm und ließ gerade einen recht feuchten Wortschwall über sich ergehen. Paul hatte die Not derweil zur Tugend erklärt. Vor seinem Gedeck stand ein gut gefülltes Glas Rotwein, an dem er ab und zu verklärt nippte. Tillmann schloss sich ihm motiviert an. Sogar Gianna schien sich Mut antrinken zu wollen. Nur ich verzichtete. Wenn ich jetzt Alkohol zu mir nahm, würden meine Kopfschmerzen sich ins Unendliche schrauben. Rotwein war dabei besonders gefährlich. Ich wählte eine aranciata, die sich als eine simple Fanta entpuppte und mir in einer Dose nebst Glas serviert wurde. Irgendwie schmeckte sie anders als in Deutschland, fruchtiger und säuerlicher. Oder lag es an der lauen Brise des

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