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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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wieder näherkam, sich behutsam an mich herantastete. »Wir Mahre sind nicht per se zeugungsunfähig. Du hast sicher gelernt, was mit Rattenweibchen geschieht, wenn sie unter starkem Stress stehen?«
    »Willst du mich etwa mit einem Rattenweibchen vergleichen?«
    »Ich dachte, ich könnte es dir leichter machen, darüber zu reden, indem ich die vertrauten Gefilde der Wissenschaft heranziehe«, entgegnete Colin mit feiner und sehr weltmännischer Ironie. »Sie werden unfruchtbar, eine sinnvolle, natürliche Reaktion, wenn man es genau betrachtet, denn im Dauerstress lassen sich keine Jungen gesund zur Welt bringen oder gar großziehen. Ich fürchte, dass unsere Wirkung auf die Menschenweibchen ähnlich ist, eine Art Gnade der Natur. Es ist nicht so, dass meine nutzlosen Dinger, wie du sie mal nanntest, keine Spermien produzieren.«
    Oh Gott, nun wurde er schon wieder so offenherzig. Irgendwie liebte ich es, aber es machte mich auch sprachlos und verlegen. »Stattdessen setzt der Zyklus der Frauen aus, sie haben keinen Eisprung mehr, oder – noch viel schlimmer, aber angeblich nur durch Sex mit Halbblütern möglich – sie empfangen ein Kind und verlieren es in den ersten Wochen.«
    Ich begann zu frösteln. Eine Fehlgeburt gehörte zu einem meiner ewigen Albträume, denn ich hatte erlebt, wie Mama eine erlitten hatte. Nach Papas Befall. Natürlich nach Papas Befall – vor seinem Befall war ich nicht auf der Welt gewesen. Oh Gott, nach Papas Befall … Warum hatte ich vorher nie daran gedacht, nie in Zusammenhang mit dem, was Papa widerfahren war? Erst jetzt fielen mir diese düsteren Tage wieder ein; Mamas übernächtigtes, verweintes Gesicht, ihre Appetitlosigkeit und die erstickende Traurigkeit, die sich über das gesamte Haus gelegt hatte; die Blutspritzer auf dem Badezimmerteppich, auf die ich gestarrt hatte, nachdem Papa Mama ins Krankenhaus gebracht und Paul und mich angewiesen hatte, brav zu sein, sie würden bald wieder zurückkommen. Stundenlang saß ich da, auf dem kalten Badezimmerboden, und konnte mich nicht von der Stelle rühren. Ich war fünf Jahre alt gewesen, doch nun erinnerte ich mich wieder an jedes Detail, als wäre es gestern erst geschehen. Dabei hatte ich dieses dunkle Kapitel unserer Familie jahrelang verdrängt.
    Colin log nicht. Es stimmte, was er sagte. Meiner Mutter war es passiert. Oder hatte es an etwas anderem gelegen? Es gab viele Gründe für eine Fehlgeburt. Doch mein Bauchgefühl wusste, dass es bei Mama nur diesen einen gegeben hatte.
    »Vielleicht existiert eine Art Intelligenz des Körpers, der ahnt, dass es kein normales Kind ist, das in ihm heranwachsen soll, und es abstößt. Vielleicht ist es auch nur der Stress, den wir Mahre oder Halbblüter bei den Menschen verursachen, wenn wir uns ihnen nähern. Doch es geschieht sehr selten und bei mir passiert es gar nicht. Ich bin ein Cambion. Auf Trischen bestand nicht die geringste Gefahr. Nachdem du in meine Erinnerungen gerutscht bist, warst du völlig außer Takt geworfen. Meine Wirkung auf den weiblichen Zyklus setzt meistens sofort ein. Du wirst niemals ein Kind von mir empfangen, niemals.«
    »Wer sagt denn, dass ich Kinder haben will?«, fragte ich tonlos, immer noch viel zu erschrocken, um verdauen zu können, was ich eben erfahren hatte. Ich räusperte mich, um meine Stimme zurückzugewinnen. »Ich will keine Kinder haben, ich wollte es noch nie.«
    »Du lügst schon wieder«, sagte Colin hart und packte mein Handgelenk, bevor ich erneut fliehen konnte. »Ellie, vergiss nicht, wer ich bin und welche Fähigkeiten ich habe! All deine Gefühle, die jetzt in dir toben, widersprechen deinen Worten. Verkauf mich nicht für dumm!«
    Mein Frösteln verwandelte sich in ein Schlottern, als ich begriff, welche Empfindungen Colin eben in mir gelesen hatte.
    »Ja, es stimmt, ich dachte mal, schwanger zu sein, nachdem ich mit Andi geschlafen hatte, und als ich merkte, dass ich es doch nicht war, es ganz sicher wusste, fühlte ich einen Moment lang so etwas wie … Enttäuschung? Traurigkeit?« Ich sah Colin fragend an. Seine Augen waren nun, da die Sonne untergegangen war, wieder tiefschwarz, doch ihnen fehlte der schimmernde Glanz. Auch die kleine vertraute Sorgenfalte hatte sich in seinen Mundwinkel gegraben.
    Ich hatte damals ebenfalls eine Falte in meinem Gesicht entdeckt, als ich in den Spiegel geschaut hatte, zwischen meinen Augen. Ich hatte nicht verstanden, wieso ich Enttäuschung fühlte, wo ich doch die Wochen zuvor keine

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