Dornenkuss
ruhige Minute hatte durchleben können und meine Grübeleien einzig und allein um die befürchtete Schwangerschaft kreisten. »Ja, vielleicht war es Traurigkeit und ich spüre diese Traurigkeit jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke. Für einen kurzen Augenblick. Doch das heißt nicht …« Ich musste nach Luft ringen, um weiterreden zu können. »Das heißt nicht automatisch, dass ich Kinder haben will oder von Andi eins haben wollte. Ich will kein Kind haben, Colin, schon allein deshalb nicht, weil ich es so über alle Maßen lieben würde, dass ich keinen Tag mehr existieren könnte, ohne aus Angst, ihm könne etwas zustoßen, wahnsinnig zu werden … Ich könnte diese Liebe nicht ertragen. Das weiß ich, Colin. Ich fühle zu viel, das tue ich immer und in diesem Fall würde es mir den Lebensmut rauben. Ich könnte keinen Schritt mehr gehen ohne Angst in meinem Nacken.« Erschöpft hielt ich inne. Ich hatte diese Gedanken bislang mit keinem Menschen geteilt und nun tat ich es mit einem Wesen, das nie die Liebe einer Mutter erfahren hatte. Verletzte ich ihn damit? Sah er mich deshalb mit diesem beinahe verbitterten Ausdruck an?
»Colin, ich …«
Bevor ich einen Satz finden konnte, der ausdrücken konnte, was in mir vor sich ging, drehte er sich um und verschwand wortlos in der milden, seidigen Dunkelheit des Südens.
Ich ließ mich auf den Sand fallen und blieb sitzen, obwohl die Brandung sich näherte und wie ein hungriges Tier an meinen Füßen leckte, doch hier gab es weder Ebbe noch Flut. Sie konnte mich nicht zu sich ziehen.
Als es so finster geworden war, dass ich nicht mehr erkennen konnte, wo das Wasser und der Himmel sich trafen, erhob ich mich ebenfalls und lief zu unserem Haus zurück.
Paul und Gianna saßen gemeinsam auf der Terrasse, hörten Musik und tranken Wein. »War ja ein kurzes Date«, bemerkte Gianna salopp, doch ich erwiderte nichts. Sie hatten keine Ahnung, wie furchtbar ein Date werden konnte, wenn man es mit einem Cambion teilte. Anstatt sich zu lieben, sprach man über Tod, Fehlgeburten und Unfruchtbarkeit.
Wie paralysiert verharrte ich auf meinem Lager, bis Paul und Gianna sich tuschelnd auf ihr Zimmer zurückzogen und die Terrasse den Grillen, Eidechsen und Geckos überließen.
Erst als der Skorpion knisternd die Wand hinaufgekrochen war, um dicht neben meinem Gesicht sitzen zu bleiben, konnte ich mich zur Seite drehen und endlich einschlafen.
INTERMEZZO
»Hilfe … Hilfe!« Es war ein piepsiges, mickriges Rufen und denkbar ungeeignet, um irgendeine Menschenseele zu wecken oder gar zu alarmieren. Der Skorpion neben mir huschte lautlos unter mein Bett. Er spürte wie ich, dass jemand hier war. Ich füllte meine vor Schreck erstarrten Lungen keuchend mit Luft, um erneut nach Hilfe zu rufen, dieses Mal lauter und kräftiger. Doch ich kam nicht dazu.
»Scht, ich bin’s, keine Angst … Lassie, ich bin es …«
»Mensch, hast du mich erschreckt.« Mein ganzer Körper schüttelte sich, und obwohl ich nun wusste, dass es keinen Grund für seine Reaktionen gab, spielten meine Nerven noch einige Sekunden verrückt, bevor auch sie akzeptierten, dass der Mann in meinem Zimmer eigentlich ein Vertrauter war. »Oh Gott, bin ich erschrocken …«, sagte ich noch einmal, um mein wunderliches Verhalten zu erklären. Ich hatte wohl mit allem gerechnet in diesen späten Nachtstunden, aber nicht mit jenem Mann, der wie ein dunkler Schatten, mehr Sinneseinbildung als greifbar, vor meinem Bett stand.
»Da komme ich ausnahmsweise wie ein normaler Sterblicher zu dir, nämlich durch die Tür, und du machst dir in dein nicht vorhandenes Höschen. Ich hatte sogar angeklopft.«
Er war es tatsächlich. Unverkennbar Colin. Ich wäre wahrhaftig weniger erschrocken gewesen, wenn er sich über mir an die Decke gehängt hätte. Ich hatte an einen Einbrecher gedacht oder an einen Überfall, vielleicht sogar an einen fremden Mahr … aber nicht an ihn. Was hatte ich eben eigentlich geträumt? Ich konnte mich nicht entsinnen. Und hatten wir uns nicht wenige Stunden zuvor im Streit getrennt? Ja oder nein?
Verdrossen stellte ich fest, dass ich durchweg zu wenig wusste, um souverän mit dieser Situation umgehen zu können, zumal Colin, wenn mich meine Sinne nicht täuschten, splitterfasernackt war. Nackt bis auf das Lederarmband an seinem Handgelenk. Schon hatte er sich zu mir aufs Bett gesetzt. Noch immer konnte ich ihn nur als vagen Schemen erkennen, allein seine Augen schickten ab und zu Funken durch das
Weitere Kostenlose Bücher