Dornenkuss
gefangen in mir selbst.«
»Hör auf, so pathetisch daherzulabern, bitte, Colin! Ich ertrage das nicht! Bald wird Tessa kommen und dann wirst du bereuen, so etwas überhaupt gedacht zu haben …«
»Nun, bisher ist sie nicht gekommen oder habe ich etwas verpasst?« Oh, wie ich ihn hasste, seinen überheblichen Blick, seine maskenhaften, kantigen Züge, sein arrogantes Lächeln.
»Nein, ist sie nicht, aber wundert es dich, wenn du tagelang weg bist und mich nicht einmal anrührst, sobald wir zusammen sind? Wie soll sie denn deiner Meinung nach angelockt werden?«
»Das ist unser Alltag, Elisabeth. So sähe unser Alltag aus. Ich bin weg, du wartest auf mich, und wenn ich da bin, musst du alle anderen Menschen fortschicken, weil sie sich in meiner Gegenwart unwohl fühlen. Falls sie nicht von allein gehen, was sie aller Wahrscheinlichkeit nach tun werden. Du wirst vereinsamen, nach und nach, vielleicht deinem Beruf nicht mehr nachgehen können, weil du unter deiner Isolation leidest und krank oder depressiv wirst. Du wirst versuchen, das Altern aufzuhalten, damit ich dich weiterhin begehre, deiner selbst unsicher werden, alles an dir anzweifeln, wie du es jetzt schon oft tust. Die Menschen werden ihren Abscheu gegen mich auf dich übertragen, ohne dass sie es merken, und wenn wir mal zusammen sind, wirst du mit mir streiten, anstatt mit mir zu schlafen. Du bist ohne mich …«
»Hör auf! Colin, bitte hör auf!« Ich presste die Hände auf meine Ohren, doch seine Worte hallten in meinem Kopf nach wie ein unendliches Echo. »Hör auf damit, ich will das nicht hören!«
»Es ist nicht fair, Ellie«, flüsterte Colin und ich wusste nicht, ob er damit mich oder sich meinte – oder uns beide?
»Hör auf.« Nun wimmerte ich, weil ich keine Kraft mehr zum Schreien hatte. Er hatte mich zermürbt. Ich sank auf die Knie und bewegte mich nicht, als eine Welle auf mich zurollte und meinen Rock durchnässte.
»Lass das, Ellie. Ich mag es nicht, wenn du vor mir kniest.« Colin zog mich am Ellenbogen hoch. Wie immer tat er mir dabei nicht weh, doch sein Griff war unmissverständlich. Er duldete meine Schwäche nicht. Er pochte auf das Versprechen.
»Du gibst mir keine Chance«, klagte ich, als ich wieder reden konnte, ohne zu schluchzen, obwohl jede Silbe in meiner Kehle schmerzte. »Du gibst mir keine Chance zu beweisen, dass wir zusammen glücklich sind, sodass Tessa kommen kann und wir dir zeigen können, dass du …« Zu viele »dass« in einem Satz. Er glaubte mir sowieso nicht. »Außerdem kann ich nicht darüber nachdenken, bevor ich nicht einige Dinge über dich weiß, die mir nicht einleuchten. Ich habe noch ein paar Fragen.« Meine Argumente waren reine Verhandlungstaktik und ich war mir sicher, dass Colin das durchschaute. Andererseits klangen sie logisch und er nutzte stets jede ihm dargebotene Gelegenheit zu erklären, dass er mit Menschen inkompatibel war. Er musste es auch jetzt tun.
»Dann frag«, erwiderte er kurz angebunden.
»Okay. Okay …« Ich ließ mir etwas Zeit, um meine Gedanken zu sammeln und durchzuatmen. Ich wollte nicht hysterisch wirken, während ich solch intime Themen ansprach. Sie waren unangenehm genug für mich, doch sie ließen mir keine Ruhe, seitdem wir uns an der Ostseeküste das letzte Mal getrennt hatten. Trotzdem gelang es mir nicht, sie hübsch zu verpacken. Ehe ich es verhindern konnte, rutschte mir eine grobe Zusammenfassung meiner Gedanken heraus, verschnürt in einer plumpen, verschrobenen Frage.
»Warum schläfst du nicht richtig mit mir?«
Colin hob erstaunt die Brauen und sein linker Mundwinkel zuckte.
»Nicht richtig? Was ist denn deiner weitreichenden Erfahrung nach richtig, Ellie?«
»Ja, gut, in Trischen war alles … ähm … so, wie man sich das vorstellt«, umwanderte ich die Details. »Aber danach … es war nur ein einziges Mal ein richtiger – Beischlaf, verstehst du? Im Frühling, als ich zu dir nach Trischen kam. Danach … danach war es nur …« Ich beendete mein Stottern resigniert. Ich sollte ein für alle Mal akzeptieren, dass ich nicht über Sex sprechen konnte. Und das Wörtchen »nur« passte eigentlich auch nicht zu dem, was mir dabei widerfahren war. Für ein »nur« war es verdammt viel gewesen. »Weißt du denn gar nicht, was ich meine?«, fragte ich verunsichert, als Colin mich nur leicht amüsiert musterte, aber keine Anstalten machte, helfend einzugreifen.
»Beischlaf«, ahmte er mich kopfschüttelnd nach. »Ellie, du verstehst es
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