Dornenliebe
verklungen sind. Dass sie ihre eleganteren Kleidungsstücke gegen den lässigen Freizeitlook eintauscht, in dem sie ihm garantiert nicht gefallen würde, ihre Pumps in die Ecke schleudert, in denen er sie sehen will, auch wenn sie nur zu Hause sind. Manchmal reißt sie sogar ihre Fenster auf
und füllt ihre Lungen mit frischer, klarer Luft wie ein Asthmapatient nach einem Anfall, anschließend wirft sie sich meist auf ihr Sofa, langt auf den Tisch daneben und nimmt eine Zeitschrift auf oder einen Roman, Zeit für sich haben, sie selbst sein, keine Erwartungen erfüllen müssen.
An einem Spätnachmittag Ende November, den sie ebenfalls auf diese Art verbringen will, bis Falk zurückkehren wird, klingelt es unerwartet an der Haustür. Luna erstarrt, Falk ist doch gerade erst gegangen, denkt sie; wenn er jetzt schon hier ist, ohne dass sie sich erneut auf ihn vorbereiten konnte, wird er Vorwürfe erheben, sie würde sich gehen lassen, hätte sich wohl hinter seinem Rücken mit jemandem getroffen, der auf schlampige Outfits steht. Hastig zieht sie ihr hellgraues Sweatshirt aus, unter dem sie immerhin ein modisches, figurbetonendes Shirt trägt, fährt sich mit dem Finger durch die Haare und geht, um zu öffnen.
»Jaron«, stößt sie hervor, als sie sieht, wer vor der Tür steht, beinahe schießen ihr Tränen in die Augen, so sehr freut sie sich, ihn zu sehen. Erst jetzt spürt sie mit voller Wucht, wie sehr sie ihn vermisst hat. Jaron lächelt, als er Luna sieht, sie spürt seine Verlegenheit, mit der rechten Schuhspitze scharrt er auf dem Straßenpflaster, die Hände hat er in die Taschen seiner warm gefütterten, abgeschabten Lederjacke geschoben. Seine Rechte nimmt er jetzt heraus, reicht sie Luna beinahe förmlich.
»Hallo«, sagt er und errötet leicht. »Ich wollte mal nach dir schauen. An der Uni laufen wir uns ja kaum noch über den Weg.«
Luna nickt, doch ihre Augen wandern ruhelos umher, natürlich ist es noch zu früh für Falk, der zu einem Loft
in einem anderen Stadtteil unterwegs ist. Aber die Angst, gesehen zu werden, ist immer da.
»Woher hast du gewusst, wo ich wohne?«, fragt sie mit gedämpfter Stimme, ein leichter Sprühregen hat eingesetzt und lässt sie in ihrem T-Shirt frösteln. Auch Jaron schlägt den Kragen seiner Jacke höher und verbirgt das Kinn in seinem dicken, grob gestrickten Schal.
»Von Sarah«, antwortet er. »Sie hat dich doch schon mal hier abgeholt und hat mir deine Adresse aufgeschrieben.«
Luna nickt, erneut blickt sie sich um, unruhig, gehetzt. Jaron tritt von einem Bein aufs andere. Zögernd tritt sie einen Schritt zur Seite, damit er in den Hausflur kommen kann. Hier kann uns keiner sehen, fährt es ihr durch den Kopf; aber wenn Falk doch noch auftaucht, wird es schwierig. Sehr schwierig.
Das Licht im Treppenhaus erlischt, sie stehen fast im völligen Dunkel, an das Lunas Augen sich nur langsam gewöhnen.
»Ich würde dich gerne ganz reinlassen«, entschuldigt sie sich im Flüsterton. »Aber bei mir sieht es chaotisch aus, außerdem muss ich gleich weg. Es tut mir leid.«
»Schon okay.« Jaron nickt. »Wir können ja auch hier quatschen.«
Ein paar Sekunden lang schweigen sie, um sie herum ist alles still, Luna spürt, dass Jaron darauf wartet, dass sie etwas erklärt, ihm sagt, weshalb sie ihn und Sarah gemieden hat. Sie ringt nach Worten, versucht, sich einen Satz zurechtzulegen, findet keinen Anfang. Kann nicht von Falk erzählen, von seinen Unterstellungen, seinem Misstrauen, den Regeln, die er ihrer Beziehung aufdrückt, der ständigen Rechenschaft, die er von Luna einfordert. Jaron ist so anders, sie spürt, dass er nie so mit einem Mädchen umgehen würde. Wahrscheinlich könnte er nicht einmal verstehen, warum Luna das mit sich machen lässt.
»Ich hatte viel zu tun«, beginnt sie schließlich. »Die ersten Scheine, überhaupt der ganze Betrieb in der Uni, und in meiner Wohnung ist auch noch nicht alles fertig. Außerdem habe ich mich erst mal mehr an die Leute aus dem ersten Semester gehalten, damit ich mich in den Vorlesungen nicht so alleine fühle. Wir mussten uns schon nach einer Schule umsehen, die uns für das erste Hospitationspraktium nimmt, das hat auch gedauert, ich kenne mich ja in Berlin noch nicht aus, und wo hier Schulen sind, weiß ich erst recht nicht. Ich hoffe, du bist nicht sauer deswegen.«
»Quatsch.« Jaron schüttelt den Kopf. »Sauer nicht, ich hab mich nur gewundert. Bei der Kneipenrallye hatten wir ja einen coolen Abend
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