Dornenliebe
kennt sie niemanden mehr.
Meine Augen verfolgen dich.
Niemand nähert sich dir ungestraft.
Ich muss Jaron anrufen, denkt sie. Ihn warnen. Doch Jarons Handynummer hat sie nicht, nach dem Aufstand, den Falk nach der Kneipenrallye wegen seiner SMS veranstaltet
hat, hat sie seine Nachrichten gelöscht und sich gehütet, seinen Namen im Handy zu speichern. Dann eben Sarah, denkt Luna, dann muss sie es ihm ausrichten, und ruft Sarah im Adressbuch auf, doch Sarahs Eintrag fehlt. Luna überprüft alle Funktionen, es sind keine Fotos mehr da, keine Kontakte, sämtliche Mitteilungen und Anrufprotokolle gelöscht, das Handy auf Werkseinstellungen zurückgesetzt, nur Falks Nummer ist gespeichert, genau wie im Laptop. Von ihrem Handy aus schickt sie eine SMS an ihre eigene Rufnummer - sie kommt nicht an. Also hat Falk ihre SIM-Karte getauscht, sie weiß nicht, wann er das getan haben kann, aber es besteht kein Zweifel.
Natürlich könnte sie ihre Eltern anrufen, die Nummer weiß sie auswendig, aber sie möchte sie nicht verstören, weiß auch nicht, ob sie begreifen würden, was gerade passiert. Luna legt ihr Handy auf den Couchtisch und verharrt unbeweglich. Ich bin gefangen, denkt sie; er hat mich im Griff, ich kann kaum einen Schritt mehr tun, ohne dass Falk mich kontrolliert, und ich kann mich niemandem anvertrauen, weil es niemanden gibt, niemanden außer ihn.
Das ist nicht mehr nur Eifersucht, fährt es ihr durch den Kopf. Falk will mich besitzen, ganz und gar.
Verzweifelt versucht Luna nachzudenken. Sie kann niemanden anrufen, niemandem schreiben. Nach einem romantischen Essen mit Falk ist ihr nicht mehr zumute. Wenn sie rausgeht und versucht, Jaron zu finden, sind sie beide vielleicht in Gefahr. Luna weiß, dass sie nichts Unüberlegtes tun, keinen übereilten Fehler machen darf. Sie muss langsam handeln. Darf Falk nicht weiter erzürnen. Ihr Handy klingelt, es ist Falk, der verkündet, er stünde vor der Tür, Luna ist nicht einmal verwundert, erschrickt nicht mehr. Sie öffnet ihm, in der Hand hält er einen Rosenstrauß,
frische edle langstielige Blumen wie aus prallem Samt, vereinzelte Wassertropfen perlen von den Blüten auf ihre Hand, als sie sie entgegennimmt, in der Aufregung hält sie die Rosen etwas zu fest, ein Dorn sticht in ihren Handballen, sie saugt den austretenden Blutstropfen schnell auf, versichert Falk hastig, es sei nicht schlimm. Falk gibt sich besorgt, sucht in ihrem Badezimmer nach einem Pflaster, kennt sich aus, dennoch deutet nichts an seinem Verhalten auf das hin, was er getan hat, vor wenigen Stunden, vielleicht gerade erst, bevor Luna nach Hause kam.
»Lass uns zum Weihnachtsmarkt fahren«, bestimmt er. »Nach Mitte.«
»Meinst du den am Alex?«, fragt sie nach. »Der ist doch eher ein Rummelplatz als ein Weihnachtsmarkt. Was hältst du von einem romantischeren, kleineren Markt? Der in Lichtenrade soll sehr schön sein, oder der in Spandau.«
Falk schüttelt den Kopf. »Mir ist heute nach Trubel zumute. Außerdem will ich mit dir angeben.«
Während der Fahrt zum Alexanderplatz versucht sie, sich nichts anmerken zu lassen, auch er plaudert, als ob nichts sei, als wäre er nicht gerade erst eingedrungen in Lunas Refugium. Luna fühlt sich in ihn ein, gibt die Antworten, die er hören will, stellt Fragen, die ihr Interesse an ihm zeigen. An einem Stand kauft er ihr ein Lebkuchenherz, auf dem in dicker Zuckerschrift die Worte »Nichts kann uns trennen« stehen, und hängt es ihr um den Hals, Luna entgeht nicht sein triumphierender Blick, als er danach seinen Arm fest um ihre Schultern legt und sie weiter durch das Gedränge zwischen den Ständen und Fahrgeschäften lotst.
Vor dem Riesenrad bleibt er stehen.
»Mir dir über die Dächer Berlins schauen«, schwärmt
er, drückt Luna fester an seine Seite und blickt in den Abendhimmel, über den sich vereinzelte Sterne verteilt haben; es scheint eine klare, kalte Nacht zu werden. »Wäre das was?«
Luna versucht, ihr Schaudern zu verbergen, sie friert schon jetzt, auf dem Riesenrad ist es bestimmt noch eisiger. Aber Falk lotst sie schon zum Kassenhäuschen und kauft die Billets, gleich darauf schiebt er sie in eine Gondel, die so rasch nach oben steigt, dass Luna sich festklammern muss, an Falks Arm, an der Umrandung. Jedes Mal, wenn die Gondel wieder stehen bleibt, weil unten neue Gäste einsteigen, atmet Luna durch, doch es geht immer weiter nach oben, bis ihre Gondel die höchste von allen ist. Der Wind zerrt an ihren Haaren und
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