Dornenliebe
nicht verstellen, nicht vorgeben, etwas zu sein, was ich nicht bin, nicht mehr verkrampft jedem Wort nachlauschen, das ich sage, aus Angst vor dem nächsten Krach, der nächsten Bestrafung. Jaron ist bei mir und ich bin bei ihm, von nun an kann alles nur noch besser werden. Sie hebt den Kopf an, um ihn anzusehen; Jaron hält die Augen geschlossen und lächelt still in sich hinein. Er also auch. Es ist nicht nur Luna, für die endlich alles gut zu werden scheint.
Jaron streichelt Lunas Wange. »Ich hab am Wochenende wieder bei dir geklingelt«, sagt er leise, »aber du warst nicht da. Was hat er mit dir gemacht?«
»Mich eingesperrt«, berichtet sie, spürt, wie der Druck von ihr abfällt, die Verzweif lung, die Angst. Die Angst noch nicht ganz. »Das ganze Wochenende, in dem Zimmer, das der Finanzbeamte sehen will und das ich extra dafür hergerichtet habe. Erst heute mittag konnte ich abhauen.«
»Warum hast du mich nicht angerufen? Ich hätte alles versucht, um dich da rauszuholen!«
»Es ging alles so schnell, mein Handy lag noch in meiner Umhängetasche neben der Eingangstür. Dann habe
ich das alte von Teresa in Falks Schrank gefunden.« Sie erzählt Jaron von den SMS und davon, dass sie immer mehr das Gefühl beschlichen hat, ihr Leben würde sich mit dem von Teresa zu vermischen beginnen. Dass sie ihn anrufen wollte, seine Nummer aber nicht mehr exakt im Kopf hatte. Wie schnell das Guthaben aufgebraucht war. Und dass sie nicht weiß, wohin.
Jaron blickt sich im Zimmer um, Luna folgt seinen Augen. Ein kleines Sofa steht darin, ein niedriger Tisch, ein Wasserkocher, ein alter Küchenschrank mit etwas Geschirr, ein Zugang zum Keller, in dem sich das Lager befindet. Ein schmales Fenster.
»Kann ich vielleicht hierbleiben?«, fragt Luna. »In so einem Raum vermutet er mich vielleicht nicht.«
Jaron zögert, dann schüttelt er den Kopf. »Ich fürchte, das geht nicht. Wenn das der Chef mitbekommt, bin ich meinen Job los. Aber mach dir keine Sorgen. Ich kenne in Berlin genug Leute, bei denen du untertauchen kannst. Am besten, du wechselst deine Bleibe öfter mal, bis uns etwas Richtiges einfällt. Dann findet er dich nicht so leicht.«
»Am liebsten würde ich bei dir bleiben. Aber das ist keine gute Idee, ich weiß.«
Jaron nickt. »Es wäre das Gefährlichste, was wir tun können. Ich bin sicher, Falk weiß von uns. Das ganze Wochenende lang hatte ich anonyme Anrufe, immer wieder. Jemand mit einer unterdrückten Rufnummer klingelte mich an, und wenn ich mich gemeldet habe, legte er auf. Manchmal sofort, manchmal erst nach ein paar Sekunden oder Minuten. Ich glaube nicht, dass es jemand anders war.«
»Er hat damals schon wegen deiner SMS Terror gemacht. Auch wenn du nur mit J unterzeichnet hast.«
Jaron nickt. »Bisher hat er mich in Ruhe gelassen, aber
irgendwoher weiß er, wie wir zueinander stehen. Und jetzt spielt er ein Spiel mit uns. Es nur eine Frage der Zeit, bis er mir genauso nachstellt wie dir.«
Luna umklammert seine Arme. »Er darf dir nichts tun.« »Vor allem aber dir nicht«, erwidert Jaron. »Hast du den Schlüssel zu deiner Wohnung dabei?«
»Ist alles bei Falk geblieben. Du siehst ja, wie ich gekommen bin. Aber nach Hause kann ich sowieso nicht. Bestimmt steht er mit seinem Luxusauto schon davor und lauert.«
»Es ging auch nur darum, schnell ein paar Sachen zu holen, aber das ist nicht so wichtig. Ich rufe erst mal Sarah an. Wenn sie da ist, fahren wir gleich nach meiner Schicht zu ihr, dort kannst du dir bestimmt ein paar Sachen leihen. Bleib einfach hier und ruh dich aus, ich bin in einer Dreiviertelstunde hier fertig, dann können wir losfahren. Ich sehe zu, dass in der Zwischenzeit keiner hier ins Zimmer kommt.«
»Bei Sarah wird Falk mich allerdings auch suchen. Ich war doch damals mit ihr auf Johannes Party.«
»Wir bleiben nicht lange, das verspreche ich dir. Zu dritt können wir besser überlegen, wie es weitergehen soll. Wir schaffen das irgendwie, Luna, hab keine Angst. Jetzt sind wir zusammen. Ich lasse dich nicht im Stich, aber wir müssen verdammt aufpassen.«
Luna nickt, Jaron küsst sie erneut, dann kehrt er zurück in den Geschäftsraum. Luna setzt sich auf das Sofa und versucht zu entspannen, ganz gelingt es ihr nicht. Bei jedem Geräusch, jedem hörbaren Schritt vor dem Fenster zuckt sie zusammen, vermutet Falk dahinter, er kann überall sein, voller Wut, voller Eifersucht, wild entschlossen, Luna zurück zu holen.
Eine knappe Stunde später erscheint Jaron,
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