Dornenliebe
nimmt Luna in seine Arme und verkündet, sein Auto stehe schon im
Hof bereit und sie könnten durch einen Hintereingang hinaus.
»Ich habe mit Sarah telefoniert«, sagt Jaron, nachdem Luna neben ihm Platz genommen hat. »Wir haben Glück - ihre Eltern sind schon im Weihnachtsurlaub und sie ist nicht im Studentenwohnheim, sondern passt auf ihre Wohnung in Kreuzberg auf. Sie meinte, wir sollten dort einfach vorbeikommen, Falk wird sicher nicht so schnell da aufkreuzen.« Jaron startet den Motor und steuert den Wagen langsam, aber sicher durch den Stadtverkehr. Zunächst blickt sich Luna unruhig um, voller Angst, dass sie neben oder hinter sich Falks Auto erblicken könnte, bereit, sich jederzeit so klein zu machen, dass sie für Falk nicht auszumachen wäre, aber nirgends ist ein Zeichen von ihm zu sehen. Allmählich beruhigt sich Luna etwas, es ist gut, neben Jaron zu sitzen, seine Nähe zu spüren. Das Rütteln auf dem Pflaster macht sie schläfrig, erst jetzt merkt sie, wie erschöpft sie ist. In einem weichen Bett schlafen ohne Angst, ohne das ständige Gefühl, beobachtet zu werden, erscheint ihr wie ein unerreichbarer, paradiesischer Zustand. Sie schließt die Augen und fällt in einen oberflächlichen Halbschlaf, bis das Motorengeräusch plötzlich erstirbt. Luna schreckt hoch.
»Wir sind da.« Jarons Lächeln drückt das Bemühen aus, Zuversicht zu vermitteln. »Ich sehe nach, ob die Luft rein ist, und klingle bei Sarah. Setz dir am besten die Kapuze von meinem Pullover auf, nur für alle Fälle.«
Da kommt Sarah schon aus dem Haus gestürmt, sie umarmt Luna, zieht sie in die Wohnung, so schnell sie kann, nimmt im Wohnzimmer ein paar Bücher und Zeitschriften von der Couch und legt sie auf den Tisch, damit Luna und Jaron sich hinsetzen können.
»Mannomann«, stößt sie hervor. »Der Typ muss echt einen an der Klatsche haben, das hätte ich nicht gedacht.
Sei bloß froh, dass du da weg bist. Ich hab Spaghetti Carbonara gekocht, wollt ihr was mitessen?«
Luna hat Mühe, sich zurückzuhalten, das Plunderstück unterwegs hat gerade ausgereicht, um den schlimmsten Hunger auszuschalten, und das ist lange her. Jetzt erscheint es ihr, als hätte sie seit Wochen keine warme Mahlzeit mehr zu sich genommen, muss aufpassen, nicht zu schlingen, schon jetzt merkt sie, wie entwöhnt sie von jedweder Nahrungsaufnahme ist, die gehaltvolle Soße rumort in ihrem Magen. Jaron und Sarah lassen sie in Ruhe essen, nehmen sich selbst nur kleine Portionen, damit Luna satt wird, amüsieren sich, als sie Sarahs Kochkünste in den höchsten Tönen lobt. Nach dem Essen räumt Jaron die Teller zusammen, während Sarah mit Luna ihren Kleiderschrank ansteuert.
»Du musst mir wirklich nichts besonders Tolles raussuchen«, meint Luna. »Eine alte Jeans genügt fürs Erste völlig, mein T-Shirt habe ich heute früh frisch angezogen …«
»… und unterwegs völlig durchgeschwitzt. Keine Widerrede!« Sarah wirft Luna einen Stapel Hosen, Wäsche, Socken und Pullover zu. »Das sind alte Klamotten von mir, die kannst du alle haben. Am besten, du verschwindest damit im Bad und machst eine Modenschau. Wenn du willst, kannst du dich auch erst mal in die Wanne legen.« Sie öffnet die Tür zu einem hellen, freundlichen Bad, es erinnert Luna an das ihrer Familie in Remscheid. Als sie in der Wanne liegt, hat sie das Gefühl, jeden Moment einschlafen zu können, so wohlig ist ihr in dem warmen Wasser zumute, das sie umgibt wie eine alte Freundin, der Schoß einer Mutter, ein Zuhause. Allzu lange will sie nicht bleiben, trotz allem fühlt sie sich nicht vollkommen in Sicherheit, Falk kann längst in der Nähe sein, sie muss raus, sich anziehen, gewappnet sein, wenn er vor ihr steht, nicht nackt oder nur in ein Handtuch gewickelt.
Sie beeilt sich beim Abtrocknen, Sarahs Sachen kleben an ihrer noch leicht feuchten Haut, ein Hustenanfall schüttelt sie. Im Waschbeckenschrank findet sie einen Fön und trocknet sich endlich die Haare, Sarah hat gewiss auch nichts dagegen, wenn Luna etwas von ihrem schwarzen Kajal und dem Lippenpflegestift benutzt, die auf der Ablage über dem Waschbecken liegen. Über Sarahs Langarmshirt streift sie wieder Jarons Pullover, der sie erneut wärmt, sie will etwas von ihm an ihrem Körper haben, es tröstet und beruhigt sie, jetzt sind wir zusammen, hat er gesagt, Luna kann es kaum glauben, Jaron und sie. Auf der Fensterbank findet sie eine Packung Taschentücher und schnäuzt sich lange, Luna muss die Erkältung
Weitere Kostenlose Bücher