Dornenschwestern (German Edition)
klein, von schmächtigem Körperbau. Sein Vater ist durch ständige körperliche Ertüchtigung und ein hartes Leben stark geworden, vielleicht gelingt Edward das auch. Ich liebe ihn über alles, und ich würde ihn nicht weniger lieben, wenn wir eine arme Familie wären, die nichts hat, was sie ihrem Sohn vererben kann. Doch wir sind eine mächtige Familie, die mächtigste im Norden, und er ist unser einziger Erbe. Wenn wir ihn verlieren würden, würden wir nicht nur unseren Sohn verlieren, sondern auch unsere Zukunft. Dann wäre das riesige, von Richard zusammengetragene Vermögen aus den Zuwendungen seines Bruders, des Königs, und meinem großen Erbe vergeudet, unter unsere Verwandten verstreut.
Isabel hat mehr Glück als ich. Ich kann nicht leugnen, dass ich neidisch bin, dass sie so leicht empfängt und ihre Kinder so kräftig und gesund sind. Das ertrage ich nur schwer. Sie schreibt mir, sie habe gefürchtet, unsere Linie sei schwach – unsere Mutter hatte nur zwei Mädchen, und auch nicht sofort. Sie spricht von dem Fluch der Königin, der bei Isabel allerdings keine Wirkung zeigt. Sie hat schon zwei Kinder, das hübsche Mädchen, Margaret, und einen Sohn, Edward, und nun ist sie wieder guter Hoffnung, und diesmal wird es gewiss ein Junge.
In ihrem überschwänglichen Brief in ihrer ausholenden Handschrift voller Tintenkleckse berichtet sie, sie trage das Kind hoch, ein sicheres Zeichen für einen Jungen, und es trete kräftig aus wie ein junger Lord. Sie bittet mich, unserer Mutter die gute Nachricht zu überbringen, und ich schreibe in kühlem Ton zurück, dass ich mich sehr für sie freue und es kaum erwarten könne, ihr Neugeborenes zu sehen, doch ich würde unsere Mutter nicht in ihrem Teil der Burg besuchen, und wenn Isabel ihr die gute Nachricht zukommen lassen wolle, müsse sie es ihr selbst mitteilen. Sie kann mir einen Brief schreiben, und ich lasse ihn ihr überbringen, denn unsere werte Mutter darf – wie Isabel sehr wohl weiß – keine Briefe empfangen, die wir nicht vorher gelesen haben, und hat nicht die Erlaubnis zu antworten. Auch Isabel weiß ja, dass unsere werte Mutter in den Augen des Gesetzes tot ist. Oder möchte sie das in Frage stellen?
Das bringt sie zum Schweigen. Sie schämt sich, genau wie ich, dass wir unsere Mutter eingesperrt und ihr das Erbe gestohlen haben. Ich spreche nie mit meiner Mutter über Isabel, ich spreche überhaupt nicht mit ihr. Ich bringe es nicht über mich einzugestehen, dass sie als unsere Gefangene in ihren Gemächern im Turm lebt und ich sie nie besuche und sie nie nach mir schickt.
Sie muss für immer in strenger Abgeschiedenheit ihr Dasein fristen, ich habe keine Wahl. Sie kann nicht in Freiheit ein normales Leben als verwitwete Gräfin führen – es würde den Parlamentsbeschluss, der sie auf Richards und Georges Wunsch hin für tot erklärt hat, ad absurdum führen. Gesellschaftlicher Umgang ist ihr untersagt, weil sie sich dann bei anderen beklagen könnte, dass man sie beraubt hat. Sie darf nicht wie in Beaulieu Abbey Briefe an die Ladys des königlichen Hofstaats schreiben und an ihre schwesterliche Hilfsbereitschaft appellieren, sich ihrer Sache anzunehmen. Wir können nicht riskieren, dass sie vor aller Welt mein Erbe und die Grundlage unseres Wohlstands, unser Besitzrecht an dieser Burg, die vielen Morgen Land, das große Vermögen meines Gemahls in Frage stellt. Abgesehen davon, wovon und wo sollte sie leben, nachdem George und Richard ihr alles genommen haben? Doch seit sie die Rechtsgültigkeit meiner Ehe angezweifelt und mich eine Metze genannt hat, ertrage ich nicht einmal mehr ihren Anblick.
Ich gehe nicht in ihr Gemach; einmal die Woche erkundige ich mich bei ihrer Hofdame nach ihrer Gesundheit. Ich sorge dafür, dass die besten Gerichte aus der Küche und der beste Wein aus dem Keller zu ihr geschickt werden. Sie kann in dem von einer Mauer umgebenen Garten vor ihrem Turm spazieren gehen. An ihrer Tür steht immer eine Wache. Sie kann sich Musiker kommen lassen, vorausgesetzt, dass ich sie kenne und sie beim Betreten und Verlassen der Gemächer durchsucht werden. Zur Messe geht sie in die Kapelle und beichtet bei unserem Priester. Er würde mir sagen, wenn sie Anschuldigungen vorbringt. Sie hat keinen Grund, zu klagen, niemand würde ihre Klagen hören. Ich suche nie die Kapelle auf, wenn sie dort ist, ich gehe niemals in ihrem Garten spazieren. Wenn ich von dem hohen Fenster des Privatkabinetts hinabschaue und sehe, wie sie
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