Dornenschwestern (German Edition)
nach unserer Ankunft in Nottingham, nachdem wir in den wunderbaren Wäldern gejagt und das erlegte Wild verspeist haben, kommt eines Abends ein Bote in meine Gemächer. Er ist sehr erschöpft vom Ritt und macht ein ernstes Gesicht, und ich weiß augenblicklich, dass etwas Schreckliches geschehen ist. Seine Hand, die mir den Brief reicht, zittert.
«Was ist?», frage ich ihn, doch er schüttelt den Kopf, als könnte er es nicht in Worte fassen. Ich sehe mich um und bemerke, dass Elizabeth mich ruhig ansieht, und mir schießt durch den Kopf, dass sie und ihre Mutter die Linie dessen verflucht haben, der die Prinzen im Turm auf dem Gewissen hat. Ich versuche zu lächeln, doch meine Lippen spannen über meinen Zähnen, und ich weiß, dass ich eine Grimasse schneide.
Augenblicklich tritt sie vor, ihr junges Gesicht voller Mitgefühl, und sagt: «Kann ich dir helfen, werte Tante?»
«Nein, nein, nur eine Nachricht von zu Hause», erwidere ich. Vielleicht ist meine Mutter gestorben. Vielleicht ist eines der anderen Kinder, Margaret oder Teddy, vom Pony gefallen und hat sich den Arm gebrochen. Ich merke, dass ich den Brief festhalte, ohne ihn zu öffnen. Die junge Frau sieht mich an und wartet, dass ich ihn entfalte. Ich habe das seltsame Gefühl, dass sie schon weiß, was darin steht, und ich sehe mich im Kreis meiner Hofdamen um, die eine nach der anderen bemerkt haben, dass ich einen Brief von zu Hause in der Hand halte und mich fürchte, ihn zu öffnen.
«Wahrscheinlich nichts», sage ich in die Stille hinein. Der Bote hebt den Kopf und schaut mich an, als wollte er etwas erwidern. Dann legt er die Hand über die Augen, als wäre der Frühlingssonnenschein zu hell, und lässt den Kopf wieder sinken.
Es lässt sich nicht länger hinauszögern. Ich schiebe den Finger unter das Siegelwachs, und es löst sich leicht vom Papier. Ich entfalte und sehe, dass der Brief von dem Arzt unterzeichnet ist. Es sind nur wenige Zeilen.
Euer Gnaden,
Ich bedaure zutiefst, Euch mitteilen zu müssen, dass Euer Sohn, Prinz Edward, heute Nacht an einem Fieber gestorben ist. Wir haben alles getan, was in unserer Macht stand, und wir sind zutiefst erschüttert. Ich werde für Euch und Seine Gnaden, den König, beten.
Charles Rhymner
Ich schaue auf, doch ich kann nichts sehen. Meine Augen sind voller Tränen, und ich blinzele sie fort, doch ich kann immer noch nichts erkennen.
«Schickt nach dem König», befehle ich. Jemand berührt meine Hand, die den Brief hält, und ich spüre Elizabeths warme Finger. Ungewollt kommt mir der Gedanke, dass Teddy jetzt der Thronerbe ist, Isabels lustiger kleiner Sohn. Und nach ihm dieses Mädchen. Ich ziehe meine Hand weg.
Wenige Augenblicke später ist Richard da, kniet sich vor mich und blickt mir in die Augen.
«Was ist?», flüstert er. «Man hat mir gesagt, du hättest einen Brief bekommen.»
«Es ist Edward», antworte ich. Ich höre, dass sich meine Trauer gleich Bahn brechen wird, doch ich atme tief durch und überbringe ihm die schlimmste Nachricht überhaupt. «Er ist an einem Fieber gestorben. Wir haben unseren Sohn verloren.»
Die Tage verstreichen, doch ich bringe kein Wort heraus. Ich gehe in die Kapelle, doch ich kann nicht beten. Der Hof ist in ein dunkles, fast schwarz anmutendes Blau gekleidet, und niemand spielt Spiele oder geht auf die Jagd, macht Musik oder lacht. Der Hof steht unter dem Bann der Trauer, wir sind verstummt. Richard sieht zehn Jahre älter aus. Ich habe mir die Spuren der Trauer in meinem Gesicht noch nicht im Spiegel angeschaut. Es ist mir egal. Ich bringe nicht die Kraft auf, einen Gedanken auf mein Aussehen zu verschwenden. Sie kleiden mich am Morgen an wie eine Puppe, und am Abend ziehen sie mir die Kleider wieder aus, damit ich ins Bett gehen kann, um schweigend dazuliegen, während unter meinen geschlossenen Lidern die Tränen hervorquellen und das Leinenkissen benetzen.
Ich schäme mich, dass ich ihn sterben ließ; als wäre es meine Schuld oder als hätte ich etwas dagegen tun können. Ich schäme mich, dass ich keinen starken Jungen zur Welt gebracht habe wie Isabels Sohn oder die gutaussehenden Woodville-Jungen, die aus dem Tower verschwunden sind. Ich schäme mich, dass ich nur einen Sohn bekommen habe, nur einen wertvollen Erben, der das ganze Gewicht von Richards Triumph tragen musste. Wir hatten nur einen kleinen Prinzen, und nun ist er fort.
Eilig brechen wir nach Middleham Castle auf, als würden wir dort unseren Sohn antreffen, wie wir ihn
Weitere Kostenlose Bücher