Dornenschwestern (German Edition)
zurückgelassen haben. Der Sarg mit dem kleinen Leichnam steht in der Kapelle, und die beiden anderen Kinder knien neben ihm, verloren ohne ihren Cousin, verloren ohne die gewohnte Routine des Haushalts.
Margaret stürzt sich in meine Arme und flüstert: «Es tut mir so leid», als hätte sie, ein kleines zehnjähriges Mädchen, ihn retten können.
Ich bringe es nicht über mich, ihr zu versichern, dass ich ihr keine Vorwürfe mache. Niemandem kann ich irgendetwas versichern. Ich habe keine Worte, für niemanden. Richard bestimmt, dass die Kinder ab jetzt in Sheriff Hutton leben sollen. Keiner von uns möchte je wieder nach Middleham. Wir beerdigen ihn in einer kurzen Zeremonie und sehen zu, wie der Sarg in die dunkle Gruft hinabgelassen wird. Doch auch nachdem wir für seine Seele ein Gebet gesprochen und den Priester dafür bezahlt haben, zweimal am Tag für ihn zu beten, komme ich nicht zur Ruhe, ich empfinde gar nichts. Wir werden eine Kapelle für seine unschuldige kleine Seele stiften. Ich glaube, ich werde nie wieder etwas fühlen.
So schnell es geht, verlassen wir Middleham und reisen nach Durham, wo ich in der großen Kathedrale für meinen Sohn bete. Es ändert nichts. Wir reisen nach Scarborough, und ich betrachte die gewaltigen Wellen des stürmischen Meeres und denke daran, wie Isabel ihr erstes Kind verloren hat und dass ein Kind bei der Geburt zu verlieren nicht, überhaupt nicht mit dem Verlust eines Sohnes zu vergleichen ist. Wir reisen zurück nach York. Es ist mir egal, wo wir sind. Überall sehen mich die Menschen an, als wüssten sie nicht recht, was sie sagen sollten. Sie brauchen sich keine Mühe zu geben. Es gibt nichts zu sagen. Ich habe meinen Vater in der Schlacht verloren, meine Schwester durch Elizabeth Woodvilles Spionin, meinen Schwager durch Elizabeth Woodvilles Henker, meinen Neffen durch ihre Giftmörderin und jetzt meinen Sohn durch ihren Fluch.
Die Tage werden heller und wärmer, und morgens streifen sie mir nicht mehr ein Kleid aus Wolle, sondern aus Seide über. Sie führen mich zum Essen und setzen mich wie eine Puppe an den hohen Tisch, sie bringen mir Lamm und frisches Obst. Beim Abendessen geht es immer lebhafter zu, und eines Tages spielen zum ersten Mal, seit jener Brief kam, die Musiker wieder auf. Richard wirft mir von der Seite einen prüfenden Blick zu und zuckt vor meinem ausdruckslosen Gesicht zurück. Es ist mir gleich. Sollen sie doch ruhig die Hornpfeife spielen; mir bedeutet nichts mehr etwas.
Am Abend kommt er in mein Gemach. Schweigend schließt er mich in die Arme und hält mich fest, als könnte dadurch die Qual zweier gebrochener Herzen gelindert werden. Es nützt nichts. Wenn wir in unserem Schmerz nebeneinanderliegen, habe ich das Gefühl, mein Schlafgemach ist zum Mittelpunkt der Trauer geworden.
Als ich am Morgen aufwache, unternimmt er den Versuch, mich zu lieben. Wie ein Stein, schweigend, liege ich unter ihm. Er ist der Ansicht, wir müssten ein zweites Kind zeugen, doch ich glaube nicht, dass uns ein solcher Segen zuteilwerden wird. Nach zehn unfruchtbaren Jahren? Wie soll ich jetzt einen Sohn empfangen, da ich mich innerlich so leblos fühle und ich kein Kind bekommen habe, als ich noch voller Hoffnung und Liebe war? Nein, wir haben einen Sohn geschenkt bekommen, und jetzt ist er tot.
Die Rivers-Mädchen haben taktvoll den Hof verlassen, um ihre Mutter zu besuchen, und ich bin froh, dass ich drei ihrer fünf schönen Töchter nicht mehr sehen muss. Ich kann an nichts anderes denken als an den Fluch von Mutter und Tochter, dass derjenige, der ihren Sohn und Erben auf dem Gewissen habe, seinen eigenen Sohn verlieren werde. Ist dies der Beweis, dass Robert Brackenbury meinen Hinweis ernst genommen und die beiden hübschen gesunden Jungen in ihrem Bett erstickt hat, damit ihr Titel an meinen armen verlorenen Sohn übergeht? Ist dies der Beweis, dass mein Gemahl mir ins Gesicht gesehen und mich voller Überzeugung und ohne jegliche Scham angelogen hat? Hat er sie ohne mein Wissen ermorden lassen? Hätte er ihrer Mutter eine solche Lüge erzählt? Womöglich vermochte sie, seine Lüge zu durchschauen, und hat mir aus Rache meinen Sohn genommen?
Nach langen schlaflosen Nächten bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass ein Hexenfluch die einzige Erklärung für Edwards Tod sein kann. Denn ausgerechnet in diesem Frühjahr hatte er seine schwierige Kindheit hinter sich gelassen.
Edward war ein schmächtiger Junge mit zarten Knochen, gewiss, er war
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