Dornenschwestern (German Edition)
fällt Georges Messer zu Boden. Wie versteinert starren er und Isabel meinen Vater an. George hat wohl verzweifelt gehofft, dass Lady Sutcliffe falsche Gerüchte verbreitet. Anscheinend hat sie nur einen Teil der Wahrheit erzählt, und alles ist weit schlimmer, als wir uns je hätten vorstellen können.
«Den Sohn der bösen Königin?», frage ich töricht. All die alten Geschichten und Ängste sind im Nu wieder da. Ich bin in dem festen Glauben aufgewachsen, Margarete von Anjou sei praktisch eine Bestie, eine Wölfin, die am Kopf einer Horde wilder Männer loszog und alles zerstörte, was ihr in den Weg kam, besessen von ihrem schrecklichen Ehrgeiz und mit einem komatösen König im Schlepptau, der alles verschlief, während sie England auseinanderriss, meinen Großvater und meinen Onkel hinmetzelte und versuchte, meinen Vater in der Küche mit einem Bratspieß und vor Gericht mit Schwertern zu meucheln. Am Ende wurde sie erst von ihm und Edward – unserem Edward – geschlagen. Ein mühseliger Kampf im Schneetreiben und eine der schrecklichsten Schlachten, die England je erlebt hat. Dann fegte sie wie ein Schneesturm mit dem blutbefleckten Schnee hinfort in den kalten Norden. Sie setzten ihren Gemahl gefangen und ließen ihn im Tower schlafen, wo er keinen Schaden anrichten kann. Doch sie und ihr eiskalter Sohn, unerklärlicherweise gezeugt von einer Wölfin und einem schlafenden Vater, wurden nie wieder gesehen.
«Prinz Edward of Lancaster, der Sohn von Königin Margarete von Anjou. Sie leben jetzt in Frankreich und werden von ihrem Vater, René von Anjou, unterstützt, dem König von Ungarn, Mallorca, Sardinien und Jerusalem. Sie ist eine Verwandte des Königs Ludwig von Frankreich», erklärt mein Vater und übergeht meinen Aufschrei. «Er hilft uns, die Invasion nach England vorzubereiten. Wir werden das Haus York schlagen und König Henry aus dem Tower befreien, und du wirst zur Prinzessin von Wales ausgerufen. König Henry und ich werden England zusammen regieren, bis er stirbt – mögen die Heiligen ihn schützen! –, und dann werde ich Prinz Edward of Lancaster und dich leiten und beraten, wenn ihr König und Königin von England seid. Dein Sohn, mein Enkelsohn, wird der nächste König von England und vielleicht auch von Jerusalem. Stell dir das nur vor.»
George erstickt beinahe an seinem Wein. Der ganze Tisch wendet sich ihm zu. Er keucht und wedelt mit den Händen und bekommt schier keine Luft. Mein Vater betrachtet ihn ohne Mitgefühl und wartet, bis der Anfall vorüber ist. «Das ist ein Rückschlag für dich, George», räumt mein Vater offen ein. «Aber du wirst der nächste Thronerbe nach Prinz Edward und der Schwager des Königs von England sein. Du wirst deinen Einfluss nicht verlieren, doch die Rivers werden nichts mehr zu sagen haben. Dich erwartet eine fürstliche Belohnung.» Mein Vater nickt ihm freundlich zu. Isabel, die Königin von England werden sollte, jetzt aber mir den Vorrang lassen muss, sieht er nicht einmal an. «George, ich werde mich darum kümmern, dass du deinen Titel und all dein Land behältst. Du stehst nicht schlechter da als vorher.»
«Aber ich stehe schlechter da», wirft Isabel ein. «Ich habe mein Kind für nichts verloren.»
Darauf sagt niemand etwas. Es ist beinahe, als wäre sie so bedeutungslos geworden, dass niemand darauf reagieren muss.
«Was ist, wenn der König immer noch schläft?», frage ich. «Was, wenn du ihn nicht wecken kannst?»
Mein Vater zuckt die Achseln. «Es spielt keine Rolle, ob er schläft oder wach ist. Ich werde in seinem Namen die Befehlsgewalt übernehmen, bis Prinz Edward», er lächelt mich an, «und Prinzessin Anne den Thron besteigen und König Edward und Königin Anne von England werden.»
«Du willst das Haus Lancaster wieder einsetzen!» George springt auf, Flecken von Madeirawein um den Mund, das Gesicht gerötet vor Zorn und mit zitternden Händen. Vorsichtig legt Isabel die Hand auf seine geballte Faust.
«Und das alles, um das Haus Lancaster wieder einzusetzen? Haben wir uns Gefahren auf Land und See ausgesetzt, um Lancaster wieder auf den Thron zu bringen? Habe ich deswegen meinen Bruder verraten und mein Haus York im Stich gelassen?»
«Das Haus Lancaster hat einen starken Thronanspruch», fährt mein Vater fort und wirft die Allianz mit York, die seine Familie geschmiedet und über zwei Generationen verteidigt hat, über den Haufen. «Wenn dein Bruder, wie du angedeutet hast, ein Bastard ist, steht sein
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