Dornenschwestern (German Edition)
Castle
Weihnachten 1472
D ie Weihnachtsfeierlichkeiten sind für Edward immer eine besondere Zeit, und dieses Jahr feiert er seinen größten Triumph. Kaum sind Richard und ich wieder am Hof, werden wir von der Aufregung angesteckt. Zwölf Tage wird Weihnachten gefeiert. Jeder Tag steht unter einem anderen Motto, jeden Tag finden neue Maskeraden statt. Bei jeder Mahlzeit werden neue Lieder gesungen, Schauspieler, Jongleure und Musiker führen ihre Künste vor. Sie unternehmen eine Bärenhatz und gehen jeden Tag in den kalten Sümpfen am Fluss jagen. Außerdem veranstalten sie eine Falkenjagd und ein dreitägiges Turnier, auf dem die Edelleute ihre Standarten präsentieren. Der Bruder der Königin, Anthony Woodville, richtet einen Dichterwettstreit aus. Sie stehen im Kreis, und einer nach dem anderen muss ein Couplet vortragen. Der Erste, der über einen Reim stolpert, verneigt sich und tritt zurück, bis nur noch zwei Männer übrig sind, unter anderem Anthony Woodville – und er gewinnt. Er schenkt seiner Schwester ein strahlendes Lächeln: Er gewinnt immer. In einem für diese Gelegenheit eigens gefluteten Hof wird eine Seeschlacht nachgestellt, und an einem Abend findet im Wald ein Fackeltanz statt.
Richard, mein Gemahl, weicht seinem Bruder nicht von der Seite. Er gehört dem inneren Kreis an: Kameraden, die mit Edward aus England flohen und im Triumph zurückkehrten. Er, William Hastings und Anthony Woodville, der Bruder der Königin, sind die Freunde und Blutsbrüder des Königs – einander treu ein Leben lang. Niemals werden sie den wilden Ritt vergessen, als sie dachten, mein Vater würde sie einholen, niemals die Reise, auf der sie ängstlich über das Heck des kleinen Fischkutters nach den Lichtern des Schiffes meines Vaters Ausschau hielten. Über dunkle Landstraßen sind sie geritten, verzweifelt auf der Suche nach Lynn und ohne zu wissen, ob sie dort ein Schiff mieten oder stehlen konnten. Sie brüllen vor Lachen bei der Erinnerung daran, dass ihre Taschen leer waren und der König dem Fischer seinen pelzverbrämten Mantel als Bezahlung geben musste und sie mittellos in ihren Reitstiefeln in der nächsten Stadt ankamen. Auf einmal scharrt George mit den Füßen, blickt sich um und hofft, dass das Gespräch bald eine andere Wendung nimmt. Denn in jener Nacht war George der Feind, auch wenn sie jetzt angeblich alle Freunde sind. Ich glaube, dass die Männer, die mit donnernden Hufen im Dunkeln über die Landstraßen ritten und schwitzend anhielten, um zu lauschen, ob ihnen Hufschläge folgten, niemals vergessen werden, dass George in jener Nacht ihr Feind war und dass er seinen Bruder und seine Familie verkauft und sein Haus verraten hat in der Hoffnung, selbst den Thron zu besteigen.
Sosehr sie auch lächelnd ihre Freundschaft beschwören und so tun, als hätten sie die alten Schlachten vergessen, wissen sie doch, dass George ihnen in jener Nacht auf den Fersen war und sie, hätte er sie erwischt, umgebracht hätte. Das ist der Lauf der Dinge: Man muss töten, sonst wird man selbst getötet, auch wenn es der eigene Bruder ist, der König oder ein Freund.
Wenn sie von dieser Zeit sprechen, erinnere ich mich daran, dass auch mein Vater damals ihr Feind war und sie sich zusammenschlossen, weil sie Angst vor ihm hatten, vor ihrem guten Vormund und Mentor, der über Nacht unvermittelt zu ihrem Todfeind geworden war. Sie mussten den Thron von ihm zurückerobern – er hatte sie vernichtend geschlagen und aus dem Königreich gejagt. Wenn ich zuweilen an seinen Triumph und dann an seine Niederlage denke, fühle ich mich an diesem Hof so fremd wie meine erste Schwiegermutter, Margarete von Anjou, die immer noch als Gefangene im Tower of London sitzt.
Ich weiß mit Gewissheit, dass die Königin ihre Feinde niemals vergisst. Ja, ich vermute, dass sie uns auch in diesem Augenblick als ihre Feinde betrachtet. Auf Weisung ihres Gemahls grüßt sie Isabel und mich mit kühler Höflichkeit und bietet uns Plätze in ihrem Hofstaat an. Doch wenn sie uns in eisigem Schweigen dasitzen sieht, oder wenn Edward George ruft, um den Bericht einer Schlacht zu bezeugen, und dann abbricht, weil ihm aufgeht, dass George bei dieser Schlacht auf der anderen Seite gestanden hat – dann macht ihr leises Lächeln nur allzu deutlich, dass die Königin ihre Feinde nicht vergisst und ihnen niemals vergibt.
Mir steht es zu, einen Platz im Hofstaat der Königin abzulehnen, denn Richard sagt, dass wir die meiste Zeit im Norden leben
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