Dornröschen schlief wohl hundert Jahr
über Jonassen wusste, und dass er ihn wahrscheinlich seit Längerem erpresst hat. Weiter nichts. Und du hast selbst gesagt, dass Jonassen kein Pardon kennt, wenn jemand ihm Schwierigkeiten macht.«
»Ja ja – aber nicht so. So weit würde er nicht gehen. Und das ist nicht – das wäre nicht sein Stil.«
Sie tanzte wieder, noch immer mit demselben Typen. Diesmal war es ein langsamer Tanz. Seine Hände lagen tief unten auf ihrem Rücken, und ich konnte sehen, wie seine Fingerspitzen die warme Haut unter dem weichen Kleiderstoff streichelten.
Reidar Manger wedelte mit einem weißen Taschentuch. Die dunkelhaarige Frau mit den schweren Augen und Brüsten lauschte ihm gebannt. Aus den Bewegungen entnahm ich, dass er ihr eine Vorlesung über die Dynamik des Stierkampfes hielt: Der Tod am Nachmittag. In einer anderen Ecke des Raumes diskutierten ein Mann und eine Frau lautstark und erhitzt, und ganz in meiner Nähe hielt einer der jungen Lehrer mit erfahrener Stimme eine Rede über ein Theaterstück, das er zu Pfingsten in London gesehen hatte: es spielte in einem deutschen Konzentrationslager und es war echt unheimlich unterhaltsam gewesen.
»Und was wäre Arve Jonassens Stil?«, fragte ich.
»Denk mal nach. Der Kerl ist Bauunternehmer. Schneller ein Zementblock um die Knöchel und dann mit den Füßen zuerst in den Puddefjord. Willkommen in Atlantis. Ansonsten hat es Jonassen meistens gereicht, seine Muskeln spielen zu lassen, und die Aufsässigen sind mit eingezogenem Schwanz abgezogen. Ich weiß nicht, ob du einen seiner Ingenieure kennst – Karsten Edvardsen …«
»Ja?«
»Er war früher bei der Fremdenlegion. Hat im Kongo gekämpft, sagt man. Das letzte Mal. Und später in Mozambique. Wenn jemand versucht, sich Jonassen in den Weg zu stellen, nimmt er meistens Edvardsen mit und stattet ihm einen Besuch ab. Eine kleine abendliche Konferenz, sozusagen. Und ganz friedlich. Es kommt nur selten vor, dass sie tatsächlich handgreiflich werden müssen. Die Drohung ist meistens mehr als genug.«
»Aber meinst du nicht doch …«
»Nein. Nicht mit einem Messer. Nicht auf die Art. Cherchez la femme, Veum – oder vielleicht ihren Mann. Aber nicht Arve Jonassen.«
»Aber das ist es vielleicht gerade. Kennst du Irene Jonassen?«
Er sah desorientiert aus. »Wen?«
»Frau Jonassen.«
»Arves Angetraute? Nie auch nur ein Wort über sie gehört. Ich wusste kaum, dass er eine hat. Mein Gebiet ist die Wirtschaft, Veum, nicht das Familienleben.«
»Tja«, sagte ich. »Ich danke dir jedenfalls – für deine Informationen. Das war hilfreich.«
»Oh, keine Ursache. Aber Veum … Wenn du etwas herausfinden solltest …«
»Ja.«
»Ich bin dankbar für jeden Tipp.«
Ich sah ihn an und lächelte schief. »Selbstverständlich. Eine Hand wäscht die andere.«
Solveig Manger hatte etwas zu dem Langhaarigen gesagt, entschuldigend gelächelt und war hinausgegangen. Er blieb zurück und fummelte an seinem roten Halstuch herum. Er war mir längst ausgesprochen unsympathisch.
Ich sagte zu Haugland: »Sag mal – bist du auch alleine hier?«
Er sah sich mit einem missbilligenden Blick um. »Meine Frau sitzt da hinten.« Er nickte kurz zu der Dunkelhaarigen, mit der Reidar Manger sprach. Ihr Körper war recht üppig, aber sie hatte ein hübsches Gesicht, und ihr Haar glänzte. Ihre Lippen waren breit wie Hängematten, und es musste eine Erlösung sein, sie zu küssen. Aber sein Gebiet war die Wirtschaft, nicht das Familienleben. Das durfte ich nicht vergessen.
Wir saßen eine Weile schweigend. Ich trank noch einen Aquavit und bot Haugland einen an. Er lächelte entschuldigend und sagte, er hielte sich an farbige Getränke. Kurz darauf ging er, um sich Nachschub zu holen. Ich trat langsam auf den Balkon.
Die Aussicht war nicht berauschend. Man konnte sechzig Meter abwärts auf die Rückseite der Wohnblöcke in der Strandgate sehen. Die Wohnzimmerfenster lagen nach hinten hinaus, sodass man auch von dort keine besondere Aussicht haben konnte. Zwischen den Häusern gab es einen asphaltierten Platz, auf dem Autos geparkt waren, und an dessen Rand wuchsen ein paar verzweifelte Bäume. Ich fragte mich, ob in diesen Häusern Menschen mit Kindern wohnten, und ob diese Kinder hier spielten. Ich konnte mich gut daran erinnern, wie es ausgesehen hatte, ehe die Blöcke gebaut wurden. Der Zwischenraum zwischen den Gassen, die wohlbehalten den Krieg überstanden hatten, und die leeren Grundstücke, wo die Häuser abgebrannt waren. Erst
Weitere Kostenlose Bücher