Dornroeschenmord
Tasche aus dem Kofferraum.
»Nein, die trag ich schon selber mit mir herum.« Grinsend deutete Mandy mit der Hand auf ihr Herz.
Gemeinsam stiegen sie die abgetretene Sandsteintreppe zum Eingang des Hotels empor. »Villa Bergerhoff« las Mandy auf dem kupfernen Schild neben der schweren Eingangstür. Seltsam, den Namen hatte sie doch schon mal gehört.
»Ich bedaure sehr, aber wir haben leider kein Zimmer mehr frei. Die Damen hätten vorher reservieren sollen.« Die blonde Rezeptionistin hinter dem Tresen war höflich, aber bestimmt.
»Ist denn wirklich nichts zu machen?« fragte Dorothee enttäuscht.
»Nein, leider. Die restlichen freien Zimmer sind für besondere Gäste des Hauses reserviert.«
»Hören Sie mal, meine Liebe«, sagte Mandy sehr von oben herab. »Mein Name ist de Castelbajac. Aus der deutschstämmigen Linie, Sie verstehen? So, und jetzt fragen Sie Ihren Herrn Geschäftsführer, ob er nicht doch ein hübsches Zimmer für uns hat.«
»Er hat, Mademoiselle«, ertönte eine tiefe Stimme hinter Mandy. Sie wirbelte herum und blickte ihr Gegenüber perplex an. Groß, lässiger Leinenanzug, ein sonnengebräuntes Gesicht mit blauen Augen, die spitzbübisch blinzelten. Es war der Blonde aus dem Kaufhaus.
»Ist das Zufall oder Absicht?« Die Lachfältchen um seine Augen vertieften sich noch mehr. »Frederick Bergerhoff, Sie erinnern sich doch?«
»Aber ja«, stammelte Mandy verblüfft. »Der Mann aus der Staubsauger-Abteilung.«
»Gehört das Hotel Ihnen?« erkundigte sich Dorothee.
»Natürlich. Ich dachte, Sie wüßten das. Ist das nicht der Grund, warum Sie hierher gekommen sind?«
»Nein, das war reiner Zufall«, sagte Mandy kühl. Nach Screwball-Komödie à la Tracy und Hepburn war ihr wahrhaftig nicht zumute. »Meine Freundin kannte das Hotel von früher.«
Bergerhoff hatte seinen kleinen Fauxpas schon bemerkt und räusperte sich. »Darf ich Ihnen jetzt Ihr Zimmer zeigen? Das für unsere ganz besonderen Gäste.«
Das Zimmer war ein Traum. Über dem Bett bauschte sich ein durchscheinender, hellgelber Baldachin. Auf den antiken Nachttischen standen Lämpchen mit rosettenförmigen, hellblauen Glasschirmen. Ein Kanapee lud zum Ausruhen ein, und auf dem niedrigen Tisch davor lockte eine silberne Etagere mit Früchten. Die Wände waren mit einer zartgelben Stofftapete bezogen, und um die mediterrane Wirkung des Raums noch zu verstärken, flankierten zwei Zitronenbäumchen ein Vertiko aus dunklem Holz.
»Na, habe ich dir zuviel versprochen?« Dorothee war restlos begeistert. Ihr Wunsch – Blick auf den See – hatte sich natürlich erfüllt. Das Zimmer hatte sogar einen eigenen Balkon, auf dem in verwitterten Terracottakübeln Hortensien und Oleanderbäume wuchsen. Mit einem schrillen Schrei ließ sich eine Möwe auf der Dachrinne nieder.
Die Sonne stand hell über dem See und tauchte ihn in ein warmes Licht. Doch Mandy nahm die Schönheit nicht wahr. Sie stand auf dem Balkon und blickte teilnahmslos auf das Wasser, auf dessen silbriger Oberfläche sich die Sonnenstrahlen spiegelten und wie Feuerzungen tanzten.
Ihr Inneres war grau und leer, wie ein kahler Raum ohne Fenster und Türen. Die Bilder aus ihrem Alptraum zuckten wie Blitzlichter durch ihren Kopf, griffen nach ihr und narrten sie wie Kobolde. Da waren sie wieder, der dumpfe Geruch nach Moder und Fäulnis, die messerspitzen Stacheln der blutroten Rosen und Edwards stierer Blick.
Wie ein schwarzes Tier kroch das Entsetzen in ihr hoch, und obwohl die Strahlen der Sonne noch wärmten, überzog sich Mandys Körper mit Gänsehaut. Sie schloß für einen Moment die Augen und hob fröstelnd die Schultern. All diese toten Frauen. Und Edward ein Mörder?
Zwei Stunden später gingen die Freundinnen über die geschwungene Mahagonitreppe in den Speisesaal. Über eine Stunde hatte es Dorothee gekostet, Mandy zu einem Abendessen zu überreden. Ihre Ausreden über mangelnden Appetit bis zu übermächtiger Müdigkeit waren bei der Ärztin auf taube Ohren gestoßen. »Der Appetit kommt beim Essen«, hatte sie rigoros erklärt. Schließlich mußte Mandy kapitulieren.
Gedämpfte Musik klang ihnen entgegen. »Valse triste« von Sibelius. Dorothee zuliebe hatte Mandy wenigstens ein hübsches Kleid aus dunkelrotem Chiffon angezogen. Als die beiden das Restaurant betraten, flammte in den Augen der Männer sofort Interesse auf.
Sie blickte zu Dorothee, die die begehrlichen Blicke mit einem maliziösen Lächeln quittierte. Mit einem Mal war
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