Dornroeschenmord
Mandy gerührt über die Unermüdlichkeit ihrer Freundin. Liebevoll hatte Dorothee sich um sie gekümmert, und sie hatte sich nicht einmal trösten lassen wollen.
Auch im Restaurant funkelte der Glanz eines vergangenen Jahrhunderts. Die hohe Decke war mit üppigem Stuck geschmückt, und in der Mitte des Raums verbreitete ein Lüster goldenes Licht, das sich in den bogenförmigen Fenstern spiegelte. Auf kleinen Tischen und Kommoden standen Pokale aus feinstem Porzellan mit üppigen Lilienbuketts, und im offenen Kamin prasselte ein munteres Feuer.
Mandy stupste Dorothee in die Seite: »Du, ich möchte dir noch mal dafür danken, daß du mit mir hierher gefahren bist. Das Hotel ist wirklich traumhaft. Schöner könnte es gar nicht sein.«
Kaum hatte sie es ausgesprochen, kam Frederick Bergerhoff auf sie zu. »Da sind Sie ja«, sagte er erfreut und reichte beiden die Hand. »Ich habe einen Tisch für Sie freigehalten.« Die beiden Frauen folgten ihm und waren entzückt. Bergerhoff hatte den Tisch am Kamin reserviert.
»Ich hoffe, es gefällt Ihnen hier. Es ist der Tisch für unsere ganz speziellen Gäste«, lächelte er und blinzelte Mandy verschwörerisch zu.
»Na, den hat Mutti aber gut erzogen«, stichelte Dorothee, sobald Bergerhoff gegangen war.
»Mhm«, machte Mandy nachdenklich und warf einen kurzen Blick auf die in Leder gebundene Speisekarte. Ärgerlicherweise reagierte sie auf Melancholie eigentlich nie mit Appetitverlust, so wie das bei Frauen der Fall war, die ohnehin kein Gramm Fett zuviel am Leib trugen, vielmehr tröstete sie sich dann gern mit einem opulenten Essen.
Und tatsächlich änderte sich ihre Laune schlagartig, als sie entdeckte, welche Köstlichkeiten das Restaurant zu bieten hatte. Schon allein der Gedanke an Foie gras auf verschiedenen Blattsalaten an warmem Balsamico-Dressing ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Und danach eine frische Renke, serviert mit einer butterzarten Hollandaise und goldgelben Petersilienkartoffeln …
Sogar Dorothee ließ sich von den Leckereien der Speisekarte verführen. Sie entschied sich für hauchdünne Crèpes mit einer Spinat-Mascarpone-Füllung, und als Hauptgang wählte sie in Butter geröstete Scheibchen vom Serviettenknödel in einer rahmigen Sauce aus frischen Pfifferlingen.
Schon bald wurde der erste Gang serviert, dessen Anblick und Duft die beiden Frauen verstummen ließ.
»Oh, Sie sind noch bei der Vorspeise!« Wie aus dem Nichts war der Hotelier an ihrem Tisch aufgetaucht.
»Sagen Sie mal, tragen Sie Mokassins?« fragte Dorothee mit einem Blick auf seine Schuhe.
»Wie meinen?« Bergerhoff blickte irritiert.
»Na, Sie schleichen sich ja an wie Winnetou.«
»Stimmt«, konterte er, »ich bin auf der Suche nach Ribana.«
»Wie meinen?« Dorothee spielte das Spielchen munter weiter und spießte dabei den letzten Rest ihrer Crèpes auf die Gabel.
»Wie, Sie kennen Ribana nicht? Sie war Winnetous große Liebe.«
Bergerhoffs blaue Augen suchten einen Blick von Mandy zu erhaschen, doch inzwischen war die frische Renke aufgetragen worden, die ihre volle Aufmerksamkeit beanspruchte. Genießerisch tauchte sie ein Stück Kartoffel in die cremige Sauce und drapierte obenauf ein wenig von dem zarten weißen Fischfleisch. Sie kaute langsam, mit fast geschlossenen Augen. Ein Schlückchen trockenen Weißwein hinterher – wunderbar. Bergerhoff, der ihr fasziniert zugesehen hatte, brauchte einen Moment, um sich zu sammeln.
»Wenn Sie noch länger bleiben, könnte ich Ihnen viel mehr darüber erzählen. Oder haben Sie vor, schon bald wieder abzureisen?«
»Ja, unser Tipi steht nur übers Wochenende. Mehr können sich alleinstehende Squaws nicht leisten«, erwiderte Dorothee mit einem süffisanten Grinsen.
Mandy wurde hellhörig und blickte erstaunt von ihrem Teller hoch. Was war denn auf einmal mit Dorothee los? War da etwa ein Flirt im Gange?
»Aber bevor wir uns wieder in unseren Wigwam zurückziehen – wie wär’s mit einem kleinen Nachtisch?« Dorothee gab Mandy einen auffordernden Knuff in die Seite. »Ich hätte Lust auf Hirsetürmchen mit Hagebuttencreme.«
Klingt wie Schweinefutter, dachte Mandy und zog unbewußt die Nase kraus.
»Haben wir das wirklich auf der Karte?« fragte ihr Gastgeber verblüfft. »Möchten Sie nicht lieber die Mousse au Chocolat? Ist auch gut gegen schleichende Rothäute. Großes Indianerehrenwort.«
»Haben Sie es noch nicht bemerkt? Ich bin eine Frau, die genau weiß, was sie will.
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