Dornroeschenmord
Hirsetürmchen. Und sonst nichts.«
»Und was ist mit Ihnen? Haben Sie gar keinen Wunsch? Sie gehören doch sicher auch nicht zum Stamm der Asketen, oder?« sagte Bergerhoff an Mandy gewandt.
»Nein, aber zum Stamm der müden Krieger.«
»Na, dann weiß ich genau das Richtige für Sie. Bringen Sie uns drei Cognacs, aber von dem ganz alten, bitte«, forderte er den Kellner auf. »Sie haben doch nichts gegen einen gemeinsamen Drink?«
»Das hätten Sie fragen sollen, bevor Sie Ihr Feuerwasser bestellen. Weiße Frauen schätzen das.« Mandy war aus ihrer Lethargie erwacht und strich sich provokant durchs Haar. Bergerhoffs Blick vertiefte sich in die Bewegung ihrer Hand und blieb an den schimmernden Locken hängen.
Dorothee beobachtete ihn interessiert. »Holzauge, sei wachsam«, murmelte sie vor sich hin. Mandy warf ihr einen irritierten Blick zu. Bevor sie etwas sagen konnte, brachte der Ober die Getränke.
»Also dann!« Bergerhoff ergriff sein Glas. »Auf ein schönes Wochenende.«
»Auf traumlose Nächte«, sagte Mandy leise und hielt Bergerhoffs eindringlichem Blick stand.
Dorothee kippte den Cognac in einem Zug hinunter und gähnte dann herzhaft:
»Haach, bin ich müde. Nach dem Dessert muß ich unbedingt ins Bett. Ich kann schon jetzt kaum mehr die Augen offenhalten.« Das war auch eine von Dorothees Eigenarten: Sie wurde immer dann müde, wenn es für die anderen gerade gemütlich zu werden begann.
»Mensch, Dorothee, es ist gerade mal zehn«, protestierte Mandy. »Es ist auch gar nicht gut, nach den Hirsetürmchen sofort zu türmen. Außerdem will ich noch nicht ins Bett. Du kannst mich doch nicht allein hier sitzen lassen.«
»Wenn Sie möchten, leiste ich Ihnen noch Gesellschaft«, bot Frederick Bergerhoff sich an.
Ein wenig hilflos blickte Mandy in die Runde. Dorothee machte allmählich wirklich einen matten Eindruck, und Bergerhoff blickte erwartungsvoll aus großen Bubenaugen. Mandy trat die Flucht nach hinten an.
»Ich bin gleich wieder zurück«, sagte sie mit einem fahrigen Lächeln, packte ihr Abendtäschchen und verschwand zur Toilette. Drinnen ließ sie sich auf den Klodeckel – echter Marmor – fallen und schloß mit einem Seufzer die Augen. Erst einmal Zeit gewinnen und alleine sein.
Nachdem sie ihr Make-up aufgefrischt hatte, atmete sie tief durch und ging zurück an ihren Tisch. Weder von Dorothee noch von ihren Hirsetürmchen war etwas zu sehen, und auch Bergerhoff schien sich wie ein Aspirin aufgelöst zu haben. Selber schuld, dachte sie und war gleichzeitig erleichtert darüber, frei über sich selbst bestimmen zu können. Sie fühlte nicht die geringste Lust, sich zu verstellen und womöglich irgendwelche Gefühle vorzuheucheln.
In ihren Seidenschal gehüllt, ging sie durch die breite Flügeltür hinaus auf die mondbeschienene Terrasse. Sie wollte nicht grübeln, doch ihr Vorsatz war in dieser Umgebung nicht so leicht umzusetzen. Die klare, weite Nacht weckte in ihr, ob sie es wollte oder nicht, starke Gefühle: Gefühle der Ekstase und des Schreckens und zugleich ein ungeheures herzzerreißendes Sehnen. Sie fühlte sich klein und furchtbar einsam. Nackt und wehrlos. Instinktiv zog sie den Schal enger um sich.
Hinter ihr machten sich Stimmen bemerkbar.
»Sie können jetzt zu Bett gehen, Alfred, aber sorgen Sie nächstes Mal dafür, daß das Tor geschlossen wird.« Bergerhoff sprach mit dem Hausdiener. Dann kam er auf Mandy zu.
»Ach, hallo«, murmelte sie und blickte hinaus auf den See, während sie sich sammelte.
»Hallo«, gab er zurück. »Ich dachte, Sie wären schon zu Bett gegangen.«
»Nein, ich wollte noch ein wenig draußen sein. Sie haben es sehr schön hier.« Sie machte eine Geste auf den See hinaus.
»Wissen Sie, was ich mich schon die ganze Zeit frage? Ich frage mich, warum Sie auf einmal so verändert sind. Als wir uns das erste Mal trafen, machten Sie einen sehr lebhaften Eindruck auf mich. Jetzt wirken Sie so«, er hielt inne und suchte nach dem passenden Wort, »so bedrückt. Oder täusche ich mich?«
Sie hob den Kopf und blickte ihn erstaunt an. »Nein, Sie täuschen sich nicht.«
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« fragte er mit samtweicher Stimme.
»Ja, geben Sie mir bitte eine Zigarette.«
»Das ist alles, was ich für Sie tun kann? Eine Zigarette? Ich wußte gar nicht, daß Sie rauchen.« Mit einem Lachen versuchte er die Situation zu entspannen.
»Tu ich im allgemeinen auch nicht, aber jetzt schon«, antwortete Mandy.
»Wollen Sie mir
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