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Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kalman
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murmelte er, und seine Augen nahmen einen eigenartigen Ausdruck an, »aber reden tun wir bei mir daheim.«
     
    Gebauer lebte in einem bescheidenen, aber gepflegten Fachwerkhaus, umsäumt von einem kleinen Garten, in dem die Beete in Erwartung des Winters schon mit Plastikfolien abgedeckt waren. Trotzig hingen vereinzelte Blätter an dornigen Sträuchern.
    Im Wohnzimmer war es warm und heimelig. Mandy nahm auf dem alten plüschigen Kanapee Platz und sah sich neugierig in dem halbdämmerigen Zimmer um. In einem Kachelofen knackten Holzscheite, auf den zerschlissenen Sesseln lagen bunte Häkeldecken und Kissen. Zahllose Schwarzweißfotos in dunklen Holzrahmen drängten sich auf einer altmodischen Kommode, und das Pendel einer Standuhr schwang schwerfällig hin und her. Über dem ganzen Zimmer lag der Firnis der Vergangenheit.
    »Ich hab mir vorhin scho einen Tee gemacht«, unterbrach Gebauer ihre Betrachtungen. »Wollen Se auch einen?«
    »O ja, gern. Ich bin ganz durchgefroren.«
    Der Mann stellte eine Tasse vor Mandy und schenkte ihr ein. Dann blickte er sie aus seinen hellen Augen eindringlich an.
    »Wenn die andern wüßten, daß Se hier sind, würden se mich steinigen«, eröffnete er das Gespräch. »Keiner spricht hier mehr über den Richard Grasser. Das Thema ist scho seit Jahrzehnten tabu. Genaugenommen eigentlich scho seit seiner Geburt.«
    »Warum?« fragte Mandy, beugte sich ein wenig vor und rührte angespannt in ihrer Teetasse. »Warum schon seit seiner Geburt? Weil er ein uneheliches Kind war?«
    »Ach, das wissen Se also scho?«
    »Ja, und auch, daß der Vater unbekannt ist. Außerdem habe ich herausgefunden, daß seine Mutter einen Monat nach seiner Geburt gestorben ist. War sie krank?«
    Gebauer schüttelte langsam den Kopf, und plötzlich wußte Mandy, wie sie den Ausdruck in seinen Augen deuten sollte: Es war Haß.
    »Franca Grasser war ned krank. Sie war eine Hur. Eine Hur, die der Deifel gschickt hat, und dafür hat man se gerichtet.«
    Mandy traute ihren Ohren nicht und stellte klirrend die Teetasse auf den Tisch. »Man hat sie gerichtet?«
    »Ja, und ned nur sie, sondern die Eltern gleich mit«, fiel Gebauer ihr ins Wort, und seine Stimme überschlug sich triumphierend. Er fuhr sich durch das schüttere Haar und sprach weiter.
    »Siebzehn war se, die Franca Grasser, als se mit ihren Eltern nach Eichberg gekommen ist. Sie waren Flüchtlinge aus dem Sudetenland, und auf einem Bauernhof in der Nähe harn sie einen Unterschlupf gefunden. Alles, was se jemals besaßen, harn se im Krieg verloren, aber ihren Hochmut, den harn se behalten. Ihr Vater hat gesagt, er wär ein Akademiker, und die Mutter hat immer drauf bestanden, daß se eine Tochter aus gutem Haus sei – wer’s geglaubt hat … Auf jeden Fall harn se sich alle zwei für was Beßres gehalten und waren immer so ein bißle von oben herab. Anstatt daß die Tochter was Ordentliches geschafft hätt, wie sich das für ein Mädle in dem Alter gehört, ham se se Klavier spielen lassen, Pianistin sollt se werden. Und die Franca, die war ein eingebildetes Aas. Ich seh se noch deutlich vor mir, wie se durch die Gasse scharwenzelt ist.« Gebauer nahm einen Schluck Tee und fuhr fort.
    »Einen jungen Pfarrer ham wir gehabt, und der hat ihr Unterricht gegeben auf der Kirchenorgel. Er hat gesagt, se wär ein großes Talent. Bach tät se spielen wie ein Engel. Dabei hat’s der doch mit ihren ganz anderen Talenten gehabt. Die wußt ganz genau, was se zu tun hatte. Bei uns andern hat se das Blümle Rühr-mich-ned-an gespielt, und bei ihm hat se die Beine breit gemacht, wann immer er wollt. Aber es war ned seine Schuld, die hat ihn verhext. Die Burschen aus’m Dorf ham alles gesehn, durchs Fenster harn se se beobachtet. So eine Sünd, und alles direkt vor den Augen von den jungen Kerlen. Wein und Weiber betören die Weisen. Das hat scho in der Bibel gestanden.«
    Gebauers Stimme war von Selbstgerechtigkeit und Feindseligkeit erfüllt. Mandy fühlte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief, doch sie schwieg und ließ ihn reden. Er schien sie jetzt gar nicht mehr wahrzunehmen, sein Blick war auf einen Punkt gerichtet, der weit in der Vergangenheit lag.
    »Alle harn wir’s gewußt, und sie hat gwußt, daß wir’s wußten. Aber das hat se ned gestört. Die hat das höchstens genossen, wie alle se angestiert harn und man sich das Maul über se zerrissen hat. Die hat doch nur heimlich drüber gelacht, und nach außen hat se weiterhin die feine Dame

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