Dornröschens Erlösung
verstanden!“
Sie verlor noch den Verstand,
wenn all dies nicht endlich ein Ende hatte.
“Dornröschen, bitte!“ flüsterte der Hauptmann, als fürchtete
er, die Stimme zu erheben. „Verstehst du denn nicht? Deinetwegen wurden wir ausgeschickt.
Dich sollten wir aus den Händen des Sultans befreien. Dein Vater und deine
Mutter sind engste Verbündete der Königin. Sie erfuhren von deiner Entführung
und waren aufs höchste erzürnt darüber, dass die Königin es zugelassen hatte,
dass du über das Meer gebracht wurdest. Sie verlangten, dass man dich
zurückholte. Wir nahmen Tristan nur deshalb mit, weil Nicolas es wünschte. Und
was Laurent angeht, so wurde auch er gerettet, weil sich die Gelegenheit bot
und die Königin der Meinung war, dass er zurückgebracht werden sollte, um seine
Strafe als Entlaufener abzudienen. Aber du warst der wahre Grund für unsere
Mission. Und nun verlangen dein Vater und deine Mutter deine Entlassung aus
allen Diensten als Ausgleich für dein Unglück.“
„Welches Unglück? “ schrie Dornröschen.
“Die Königin hatte keine andere Wahl, als zuzustimmen. Sie
war äußerst beschämt, weil du je geraubt worden bist.“
Er senkte den Kopf. „Du wirst schon sehr bald vermählt
werden“, flüsterte er.
„Das habe ich gehört.“
„Nein!“ kreischte Dornröschen. „Ich werde nicht gehen -!“
Sie schluchzte und ballte die Fäuste. “Ich werde nicht gehen.“
Der Hauptmann drehte sich um und verließ traurig die Kajüte.
“Bitte, Prinzessin. Kleide dich jetzt an“, rief er durch die geschlossene Tür.
„Du musst es selbsttun. Wir haben keine Zofen, die dir
helfen könnten.“
Es war fast hell. Dornröschen lag nackt auf dem Bett. Sie
hatte die ganze Nacht geweint und wagte nicht, die Truhe mit den Kleidern
anzuschauen. Als sie das Knarren der Tür hörte, sah sie nicht auf. Laurent kam
leise in die Kajüte und beugte sich über Dornröschen. Sie hatte ihn nie zuvor
in diesem kleinen, engen Raum gesehen, und er erschien ihr wie ein Riese. Sie
ertrug es nicht, ihn anzuschauen.
Nie wieder würde er sie berühren, und sie konnte sein
seltsam weises und geduldiges Gesicht nie mehr sehen. Er hob sie hoch.
“Komm, du musst dich anziehen“, sagte er. „Ich helfe dir.“
Er nahm die silberne Bürste aus der Truhe und fuhr damit
durch ihr Haar. Mit einem sauberen Tuch wischte er ihr die Tränen aus den Augen
und von den Wangen. Dann wählte er ein dunkelviolettes Kleid für sie aus, eines
in der Farbe, wie es nur Prinzessinnen tragen. Dornröschen musste an Inanna
denken, als sie das Kleid sah, und sie weinte noch bitterlicher. Der Palast, das
Dorf, das Schloss - all das zog an ihr vorüber, und ihre Trauer wurde übermächtig.
Der Stoff fühlte sich heiß und beengend an. Als Laurent ihr
das Kleid auf dem Rücken zuschnürte, fühlte sie sich, als würde sie in eine
neue Art Fessel gebunden. Die Schuhe drückten an ihren Füßen. Sie konnte das
Gewicht des kegelförmigen Hutes auf ihrem Kopf nicht ertragen, und die Schleier
umhüllten sie nicht nur, sondern verwirrten und kitzelten sie auch.
“Oh, das ist grässlich.“ klagte sie schließlich.
“Es tut mir Leid, Dornröschen“, sagte Laurent, und seine
Stimme nahm eine Wärme und Freundlichkeit an, die sie nie zuvor vernommen hatte.
Sie sah in seine dunkelbraunen Augen, und es schien ihr, als würde sie niemals
mehr Hitze und Lust, süßen Schmerz und wahre Hingabe erfahren.
“Küss mich, Laurent, bitte“, flehte sie, als sie sich vom
Rand des Bettes erhob, und schlang die Arme um ihn.
“Ich kann nicht, Dornröschen. Es ist früher Morgen. Wenn du
aus dem Fenster schaust, wirst du die Männer deines Vaters sehen. Sie warten
auf dich. Du wirst sehr bald vermählt sein und vergessen...“
„Oh, sag so etwas nicht!“
Er sah traurig aus, und als er sich das braune Haar aus den
Augen strich, schimmerten Tränen darin. “Mein Liebling Dornröschen“, sagte er, „glaub
mir, ich verstehe dich.“
Es brach ihr das Herz, als er vor ihr niederkniete und ihre
Schuhe küsste.
“Laurent. . . „ flüsterte sie verzweifelt. Doch schon war er
verschwunden. Sie hob ihre weiten, schweren Kleider ein wenig an und stieg die
Stufen hinauf. Ihr Gesicht war tränenüberströmt.
Laurent: Urteil der Königin
Ich stand lange an dem kleinen Fenster und beobachtete, wie
Prinzessin Dornröschen mit den Gesandten vom Hof ihres Vaters davonritt. Ich
spürte einen Stich in meiner Brust, als würde etwas in mir sterben,
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