Dornröschenschlaf
Menschen kurz vor ihrem Selbstmord nicht mehr unter Stress. Diese Phase haben sie dann hinter sich, und es breitet sich ein Gefühl der Ruhe in ihnen aus.« Er atmete hörbar ein. »Aber wie wir beide wissen, war bei Nelson vieles nicht normal.« Er klang, als würde er den Text aus einem Drehbuch ablesen.
»Hören Sie. Wir müssen miteinander reden. Es gibt da etwas Wichtiges, was ich Ihnen zeigen muss.«
»Tut mir leid. Aber wir können unmöglich Ermittlungen zu einem Fall einleiten, nur weil irgendwer sich ein einziges Mal verschrieben hat.«
»Was zum Teufel â«
»Pst.«
Er sah nach links und rechts, blickte sie durchdringend an und stieà zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Spielplatz Washington. Jetzt gleich.«
Der Spielplatz war zwar sauber, aber im Vergleich zu allem anderen, was sie bisher in Tarry Ridge gesehen hatte, überraschend klein, bescheiden und auf erfrischende Weise normal. Es gab eine geschwungene Rutsche, eine Schaukel, ein kuppelförmiges Klettergerüst und einen riesengroÃen Sandkasten inmitten einer ordentlichen grünen Rasenfläche, die von einer Reihe frisch gestrichener Sitzbänke umgeben war. Nirgendwo war eine Teasdaleâsche Plakette oder Statue zu sehen.
Der Park war beinahe leer. Zwei blonde Jungs im Kindergartenalter wechselten sich auf der Rutsche ab, und zwei Hispano-Frauen mittleren Alters plauderten auf einer Bank. Sonst war nirgendwo ein Mensch zu sehen.
Doch als Morasco an das Fenster ihres Wagens trat und von ihr wissen wollte: »Wagen oder Spielplatz?«, öffnete sie kurzerhand die Tür. Weil sie lieber auf Nummer sicher ging.
Sobald Morasco saÃ, sah er sie fragend an: »Candy Bissel? Von der Sleepy Hollow Review ?«
»Nicht Review, sondern Press.«
Er bedachte sie mit einem durchdringenden Blick.
»Ich habe keine Dienstmarke, die ich einfach zücken kann. Ich muss mir meine Informationen auf die Arten holen, die mir zur Verfügung stehen.«
Er stieà einen tiefen Seufzer aus. »Was haben Sie bei Wentz gemacht, Brenna? Ich habe Ihnen doch gesagt â«
Brenna hob abwehrend eine Hand, zog den Umschlag aus der Tasche und hielt ihn ihm hin. »Das hier hat Carol aus dem Bilderrahmen im Neffâschen Haus geholt.«
Morasco sah sie fragend an. »Und woher wissen Sie das?«
»Machen Sie den Umschlag erst mal auf.«
»Noch ein Bild von Iris?«, fragte er, als er die Buntstiftzeichnung von dem Mädchen in der Blume sah. Dann entdeckte er die Aufnahmen und starrte sie mit groÃen Augen an. AuÃer ihrer beider Atem war nichts mehr zu hören, bis er schlieÃlich sagte: »Wright und Lydia Neff.«
Brenna nickte. »Der Vivio Bistro war damals noch ein Firmenwagen von Wright Industries. Er ist erst seit 1999 im Besitz von Meade.«
»Ein Firmenwagen. Da kann niemand so leicht sagen, wer ihn wann gefahren hat.«
»Genau. Weshalb es das perfekte Fahrzeug für heimliche Treffen war.«
Morasco wurde blass. »Wright hat noch schlimmere Geheimnisse als dieses hier.«
»Was meinen Sie?«
»Ich habe mich etwas ausführlicher mit diesem Meade befasst. Ich habe mit dem Leiter des Krankenhauses in der Bronx telefoniert und mich nach den Beschwerden erkundigt, die es dort über ihn gab. Er hat den Patienten Nahrung und Schmerzmittel vorenthalten, ihnen groÃe Dosen Abführmittel verpasst, ihnen angeblich Schnitt- und Brandwunden zugefügt. In einem Fall hat er zwar jede Schuld geleugnet, aber rundheraus erklärt, der Patient hätte aus der Armee austreten wollen und deswegen âºdie schlimmstmögliche Strafe verdientâ¹. Er ist ein unmenschlicher Soziopath.«
»O ja.«
»Und trotzdem hat ihn Wright danach noch eingestellt. Obwohl er die Berichte auch gelesen haben muss.«
»Am Ende hat er ihn ja auch gefeuert.«
»Hat er das?«
Brenna starrte ihn verwundert an.
Er warf einen schnellen Blick dorthin, wo sich die beiden Kinderfrauen weiter unterhielten, schob sich möglichst nah an Brenna heran und sah ihr ins Gesicht. »Nach seiner Pensionierung vor fünf Jahren ist Chief Griffin in die Wohnanlage Waterside gezogen, ohne dass ihn jemals irgendwer gefragt hätte, wie er sich ein Haus dort leisten kann. Genau wie niemand jemals Hutchins fragen würde, wie er sich den BMW , die Mitgliedschaft im Country Club und diese lächerlich glänzenden Schuhe leisten
Weitere Kostenlose Bücher