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Dornröschenschlaf

Dornröschenschlaf

Titel: Dornröschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Gaylin
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überlegte, ob es moralisch vertretbar wäre, ihn einfach zu öffnen, ehe sie es schließlich tat. Sie musste ihn ganz einfach öffnen. Selbstverständlich musste sie das tun.
    In dem Umschlag steckte ein zusammengefaltetes Stück Papier.
    Sie sah sich die rote Buntstiftzeichnung auf der Vorderseite an. Ein als Strichmännchen gemaltes Mädchen inmitten einer riesengroßen Blume, ein paar Vierecke und eine Sonne am linken oberen Rand. Offensichtlich hatte Iris dieses Bild gemalt. Es war detaillierter als die anderen Bilder, ergab aber weniger Sinn. Weshalb war das Mädchen in einer Blume gefangen? Was bedeuteten die Vierecke im Hintergrund? Weshalb hatte jemand diese Zeichnung hinter einem anderen Bild versteckt?
    Brenna faltete die Zeichnung auseinander, und drei Fotos fielen heraus.
    Brenna hob sie auf, drehte sie um … und rang nach Luft, als sie die mit dem Datum 20. August 1997 versehenen Urlaubsbilder sah. Sie atmete tief durch und sah sich die Fotos noch einmal so gründlich an, als lösten sie sich jeden Augenblick vor ihren Augen auf oder als träume sie sie nur.
    Auf dem ersten Bild war Lydia Neff, sonnengebräunt und jung, mit lächelndem Gesicht. Sie trug ein weißes T-Shirt über abgeschnittenen Jeans und lehnte sich gegen die Kühlerhaube eines hellblauen Subaru Vivio Bistro. Auf dem zweiten Bild lag sie im Bett eines Hotels, hatte einen ihrer Arme über ihr Gesicht gelegt und schlief. Auf dem dritten aber … auf dem dritten war ein nackter Mann auf demselben Bett zu sehen. Er lag auf dem Bauch, und das Gefühl in seinem Blick war derart unverfälscht, ernsthaft und echt, dass Brenna es noch spürte, als sie zwölf Jahre später im Wohnzimmer eines Gebäudes stand, in dem weder sie noch die Fotografie zu Hause war. Sie spürte, wie sich ihre Brust zusammenzog, bis sie den Anblick des Bildes nicht länger ertrug. Es stand ihr nicht zu, sich dieses Foto anzusehen. Das Gefühl gehörte diesem Mann und galt der Frau hinter der Kamera allein …
    Der Mann war Roger Wright. Und die Frau, der seine Liebe galt, war Lydia Neff.
    Roger Wright, nicht Adam Meade. Lydia Neff hatte versucht, von diesem Verhältnis abzulenken, indem sie Gayle erzählt hatte, sie ginge mit Nelson Wentz ins Bett. Lydia hatte keinen mordbereiten Psychopathen zu sich eingeladen, während ihre Tochter schlief. Keinen Psychopathen, sondern einen reichen, mächtigen, verheirateten Mann. Einen Mann, der sie zumindest während eines Augenblicks so angesehen hatte, als würde er sie lieben und als gäbe er bereitwillig seine Familie, seinen Reichtum und auch alles andere für sie auf.
    Â»Iris meinte, dass der Weihnachtsmann, wenn er Tarry Ridge besucht, immer ein blaues Auto fährt.«
    Roger Wright war aus dem Neff’schen Haus gekommen, als Nelson zu Lydia gefahren war. Es war sein Wagen gewesen, von dem Nelson Wentz hatte vergessen sollen, dass er ihn je gesehen hatte. Rogers Wagen, der auch von der kleinen Iris ab und zu gesehen worden war.
    Brenna konnte praktisch hören, wie die Kleine mit der Mutter sprach.
    Â»Wem gehört das Auto, das in unserer Einfahrt stand, Mommy?«
    Â»Niemandem, meine Süße.«
    Â»Doch Mommy, bestimmt. Ich bin heute Nacht kurz wach geworden, und da habe ich gesehen, wie ein blaues Auto weggefahren ist.«
    Â»Oh, das war … das war der Weihnachtsmann, Schätzchen.«
    Â»Wirklich? Der Weihnachtsmann?«
    Â»Ja. Manchmal besucht er unser Haus. Aber das darfst du niemandem erzählen, weil er sonst nämlich nie wiederkommt.«
    Brenna steckte das Gemälde und die Fotos ein und rannte die Treppe ins Obergeschoss hinauf. »Nelson!«
    Außer dem Rauschen des Wassers hörte sie noch immer nichts.
    Brenna ging durch Nelsons Schlafzimmer zum daran angrenzenden Bad und hämmerte gegen die Tür. »Nelson! Ich bin’s, Brenna. Ich muss Ihnen zeigen, was Carol gefunden hat.«
    Als er immer noch nicht reagierte, öffnete sie vorsichtig die Tür. Dichter Dampf quoll ihr entgegen, und der Spiegel war derart beschlagen, dass darin nichts mehr zu sehen war.
    Als sie den Raum betrat, kam es ihr vor, als dringe sie in eine Regenwolke ein.
    Wie lange lief das Wasser wohl schon?
    Â»Nelson?«
    Erst entdeckte sie das Blatt, das mit der beschriebenen Seite oben auf dem Rand des Waschbeckens lag. Schwarze Schrift auf blassblauem, infolge des Dampfs leicht welligem

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