Dornteufel: Thriller (German Edition)
Das konnte dauern … Doch Kamal zweifelte daran, dass er so eingequetscht lange in diesem Schrank stehen konnte.
Kamal war gezwungen, zu warten, bis das Besatzungsmitglied den Raum noch mal verließ oder schlafen ging. So ein verdammtes Pech! Er brauchte doch nur ein paar Minuten. Eine kurze Nachricht, die er absetzen wollte, um seine Familie zu beruhigen und … um ein Lebenszeichen von sich und seinen drei Schicksalsgenossen zu hinterlassen: damit auch andere wussten, dass sie sich auf einem Schiff der Hanseatic Real Help befanden. Inzwischen fühlte er sich hier an Bord nicht mehr gerettet, sondern gefangen, ohne jedoch den Sinn und Zweck des Arrests zu verstehen.
Endlich – nach einigen Krämpfen in den Waden und im Nacken, die er der verspannten Haltung im Schrank verdankte – hörte er, wie der Mann sich erhob. Die Tür wurde geöffnet und schloss sich wieder. Kamal lauschte. Als er nichts hörte, öffnete er die Spindtür ein Stück weit und sah sich vorsichtig um. Der Raum war verlassen, aber der Computer noch an. Also würde der Mann wahrscheinlich bald zurückkommen, dachte Kamal. Er hatte nicht viel Zeit! Rasch trat er an den Schreibtisch und machte sich mit dem Rechner vertraut. Davut hatte einen Laptop besessen und ihm den Umgang damit gezeigt. Als sein Bruder getötet worden war, hatte er das Gerät geerbt und benutzt, sodass er über einige Computerkenntnisse verfügte.
Er fand das E-Mail-Programm und setzte oben im Menü die Adressen seines alten Rechners, den er seiner Schwester anvertraut hatte, und seiner Verwandten in London ein. Seine Hände zitterten vor Aufregung; jeden Moment konnte er entdeckt werden. Den Wortlaut der Nachricht hatte er sich schon genau überlegt: »Bin in Patras auf die Aurora und dann auf ein Schiff der Hanseatic Real Help- Organisation gelangt. Bin dort mit drei Gefährten. Alle okay. Reiseziel soll Hamburg sein. Kamal.«
Natürlich fehlten in diesem Text wichtige Informationen. Er wusste weder, wie dieses Schiff hieß, noch, wo genau es ankommen würde. Dennoch machte sich ein Gefühl der Zufriedenheit in ihm breit, nachdem die Mail verschickt war: Er hatte ein Lebenszeichen gesetzt, eine Spur hinterlassen.
Er überlegte, ob er noch etwas tun sollte, solange er die Gelegenheit dazu hatte, aber er wusste nicht, was. So löschte er seine Spuren auf dem Computer, schloss das E-Mail-Programm und verließ die Kajüte. Er versteckte sich unter einer Treppen hinter einer Kiste mit Rettungswesten. Irgendwie musste er in die Vier-Bett-Kabine zurückkehren, und zwar spätestens zum Frühstück. Mit den anderen hatte er verabredet, dass sie für einige Aufregung sorgen sollten, wenn morgen früh das Essen geliefert würde, um ihm Gelegenheit zu geben, unentdeckt zurückzugelangen.
Der Plan war einfach, allerdings auch riskant. Aber einen besseren hatte er nicht.
P ARIS , F RANKREICH
Rebeccas Wecker klingelte am nächsten Morgen um halb sieben, wie immer an einem Werktag. Doch sie fühlte sich unfähig, aufzustehen. Es war, als würden Gewichte auf ihrem Körper lasten. Ihre Augen waren wie verklebt und ließen sich nicht richtig öffnen. Sie hatte ein paar Termine heute, also raffte sie sich nach einer Viertelstunde endlich auf und wankte ins Badezimmer. Als sie ihr Gesicht im Spiegel sah, runzelte sie die Stirn.
Was war los mit ihr? Die Nächte mit schlechtem Schlaf machten sich allmählich bemerkbar. Zerknittert sah sie aus, mit schlaffen Gesichtszügen und geröteten, hängenden Lidern. Ihr Blick fiel auf ihre Hände, die ihr ebenfalls fremd vorkamen: Die Haut an ihren Unterarmen war trocken wie Lehm, den die Sonne ausgedörrt hatte.
Sie riss sich mit einiger Anstrengung zusammen und griff nach einer Feuchtigkeitslotion. Wie rau sich ihre Haut anfühlte. Wahrscheinlich waren das nur Anzeichen von zu viel Stress, fuhr ihr durch den Kopf. Die Haut reagierte empfindlich auf Stress, das wusste jeder. Und zu wenig getrunken hatte sie auch. Wahrscheinlich war der Wodka auf leeren Magen auch nicht das Richtige für sie gewesen. Sie hatte nichts, was sich nicht mit etwas Entspannung, gesunder Ernährung und einer dieser superteuren Masken bei ihrer Kosmetikerin wieder beheben ließe. Das einzig Vernünftige war, jetzt zurück ins Bett zu gehen, sich richtig auszuschlafen und dann den Tag noch einmal zu beginnen.
Während sie sich wusch, mied sie den Blick in den Spiegel. Sieh hin, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. Oder traust du dich etwa nicht? Sieh der Realität ins
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