Dornteufel: Thriller (German Edition)
diesen Mann einmal gemocht, ja begehrt hatte – es musste Jahrtausende her sein. Stefan hob sie auf wie einen Sack Mehl, und sie ließ es geschehen. Sie wollte raus aus dem Folterkeller, auch wenn das, was sie erwartete, ihr eine Höllenangst machte. Doch das Schreckliche in der Zukunft war leichter erträglich als das Grauen hier und jetzt. Und so stellte sie sich weiterhin leblos.
Unterwegs musste sie tatsächlich erneut das Bewusstsein verloren haben. Als Nächstes spürte sie, dass ihr kalt war und sie auf etwas Hartem lag. Sie blinzelte ein wenig: blaues, gedämpftes Licht. Dann bewegte sie sich vorsichtig, und eine Plane raschelte. Julia öffnete die Augen: Sie lag auf einer geraden, festen Fläche unter einer blauen Plastikplane, die auch ihren Kopf bedeckte. Gefesselt war sie immer noch, und ihre Arme und ihr Gesicht brannten. Es roch nach Diesel, nach Wald und altem Kunststoff. Von den Schmerzen und der Angst wurde ihr übel. Sie zwang sich, sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren: Es war nichts zu hören als der Wind in den Bäumen und der krächzende Ruf eines Vogels. Keine Schritte, keine Stimmen. Sie glaubte, allein zu sein. Jetzt hatte sie möglicherweise eine Chance zur Flucht. Vielleicht war es ihre einzige.
Julia drehte sich auf die Seite, zog die Knie an und versuchte, sich mit der schmerzenden Schulter hochzudrücken.
Sie zerrte an ihren Fesseln, aber die Kabel schnitten nur tiefer in die Haut. Sie würde sich nicht alleine von ihnen befreien können. Dann gelang es ihr, den Kopf so weit aufzurichten, dass er nicht mehr unter der Plane war: Sie sah den inzwischen bewölkten Himmel über sich und Baumwipfel. Mühsam drückte sie sich weiter hoch, erblickte den Parkplatz … und ihren knallroten Mietwagen, der immer noch dort stand, wo sie ihn vor einer gefühlten halben Ewigkeit abgestellt hatte. Sie befand sich also noch auf dem Klinikgelände. Vermutlich auf der offenen Ladefläche des Geländewagens, den sie bei ihrer Ankunft gesehen hatte.
O Gott, die machten wirklich ernst damit, sie zu der Höhle zu bringen.
31. Kapitel
S T . B ASSIÈS , F RANKREICH
Julia hörte Schritte, die sich ihr näherten. Sie duckte sich runter, die Plane fiel wieder über sie, doch es war zu spät. Die Fläche, auf der sie lag, schwankte, und Metall ächzte. Dann verschwand das Blau vor ihrem Gesicht, und sie sah wieder die kahlen Zweige über sich und den grauen Märzhimmel, der verdunkelt wurde, als eine Gestalt sich über sie beugte. Julia versuchte, sich wegzudrehen, instinktiv ihr Gesicht zu schützen.
»Julia! Mein Gott! Was ist mit dir passiert?«
Es war seine Stimme. Julia hatte sich vorgestern Nacht – ja, es war erst achtundvierzig Stunden her, dass sie ihm auf dem schwankenden Ponton am Feuerschiff begegnet war – doch nicht getäuscht. »Robert – verdammt!«, zischte sie ihn wütend an, um nicht vor Erleichterung zu heulen.
Er zog ein großes Messer aus einer Scheide unter seinem Hosenbein hervor und durchtrennte die Kabel. Es stach erbärmlich, als die Nerven an Hand- und Fußgelenken nicht mehr abgeklemmt wurden.
»Kannst du aufstehen? Laufen?«, fragte er.
Julia nickte und zog sich an der Rückseite der Fahrerkabine hoch. Es tat einfach alles weh. Beim Runterspringen von der Ladefläche fuhr wieder ein scharfer Schmerz in ihren linken Fußknöchel wie damals bei ihrer Flucht aus dem Forschungszentrum in Bihar.
»Mein Auto steht ein paar hundert Meter den Berg hinunter. Ich wollte nicht, dass mich jemand ankommen sieht, sondern erst mal die Lage erkunden.« Er lachte freudlos. »Schaffst du es bis dorthin? Es ist eine kleine Klettertour.«
Die Frage kam ihr so abwegig vor, als wolle man sie dazu überreden, über den Nordostgrat des Mount Everests abzusteigen. »Keine Chance. Warum fahren wir nicht einfach schnell weg?«
»Dann hören die beim Starten des Motors sofort, dass du abhaust«, sagte er. »Außerdem kann es dauern, bis ich die Karre kurzgeschlossen habe.«
»Wir nehmen meinen Clio.« Julia wollte nach dem Schlüssel fühlen, doch der befand sich in ihrer Jackentasche, und die war in dem Folterkeller zurückgeblieben. Niedergeschlagen schüttelte sie den Kopf. »Den Schlüssel hab ich leider nicht mehr.« Sie musste sich am Wagen festhalten, so weich waren ihre Knie.
Robert sah sie prüfend an und schien zu dem Schluss zu kommen, dass sie wirklich nicht gut laufen konnte. »Okay, dann der Land Rover. Das ist einfachste Technik, den bekomme ich mit meinem Fingernagel
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