Dornteufel: Thriller (German Edition)
im Wald stand; er erinnerte sie irgendwie an einen friedlich ruhenden Dinosaurier. Doch festgefahren, wie der Wagen war, nützte er ihr nichts. Er war ein Orientierungspunkt – der Hinweis darauf, dass irgendwo vor ihr noch so etwas wie die Zivilisation existierte.
Von hier aus musste sie der Schneise des Wagens bis zur Straße folgen. Die Spur des Land Rovers war nicht zu übersehen. Endlich lichteten sich die Bäume, und der befestigte Weg, der hinunter ins Dorf führte, lag vor ihr.
Sie atmete auf. Jetzt hatte sie es so gut wie geschafft.
»Hallo, Julia«, hörte sie eine bekannte Stimme in der Dunkelheit. »Ich habe auf dich gewartet.«
Stefan Wilson – er hatte also nicht mit den beiden Männern die Verfolgung fortgesetzt. Julia rannte los, doch sie war nicht schnell genug. Er eilte ihr sogleich hinterher, stürzte sich auf sie, und sie gingen beide zu Boden. Julia schnappte nach Luft. Da spürte sie kaltes Metall an ihrem Hals.
»Das ist die kleine Smith & Wesson, Schätzchen«, sagte er. »Die kennst du doch schon. Wenn du brav bist und langsam aufstehst, muss ich sie nicht benutzen.«
Beide erhoben sich. Auch wenn sie die Waffe nicht mehr spürte und sie auch nicht sehen konnte, wusste Julia, dass Stefan die Pistole weiterhin in der Hand hielt, die Mündung auf sie gerichtet.
»Wo ist der andere?«, fragte er. »Ihr wart doch zu zweit. Du hattest Hilfe …«
»Tot«, antwortete sie. »Deine Leute haben ihn erschossen.«
»Dann waren sie ja wenigstens zu etwas gut«, meinte er. »Vorwärts. Die Höhle wartet.«
Julia humpelte demonstrativ und blieb immer wieder stehen, um Zeit zu gewinnen. Sie wollte die Höhle nicht erreichen. Der Gedanke an die Felsspalte mit den Leichen versetzte sie in Panik. Ab und zu vermeinte sie sogar ein Rascheln oder leises Knurren neben sich im dichten Unterholz zu hören.
»Wildernde Hunde«, sagte Stefan. »Sie wittern die Verwesung. Es ist so, wie wir es dir gesagt haben. Und wir sind auch gleich da.«
Vor dem Eingang der Höhle, die mit einem Gitter und einem Vorhängeschloss gesichert war, befand sich eine kleine Lichtung. Der Mond leuchtete diese kleine Lücke im dichten Wald fast taghell aus, sodass der Höhleneingang dahinter wie ein finsterer Schlund aussah. Ein Warnschild am Gitter verwies auf die Einsturzgefahr und verbot den Zugang zur Höhle. Julia glaubte, sogar einen leicht süßlichen Geruch wahrzunehmen, aber das konnte auch Einbildung sein, nach allem, was sie über diesen Ort gehört hatte.
33. Kapitel
S T . B ASSIÈS , F RANKREICH
Als sie direkt vor der Höhle standen, verzog sich Stefans Gesicht zu einem Grinsen. Er warf Julia einen Schlüssel vor die Füße. »Schließ auf!«, befahl er.
»Nein«, entgegnete sie. »Warum sollte ich dir helfen?«
»Ich kann dir auch erst in die Knie schießen und dich dann in die Höhle schleifen«, meinte er. »Ich will dich doch nur einsperren, bis wir hier wieder Ordnung geschaffen haben.«
»Blödsinn«, widersprach Julia.
»Es gibt Dinge, die sind größer und wichtiger als das eigene Leben«, erklärte er großspurig. »Serail Almond zum Beispiel. Wir entwickeln die Zukunft.«
»Auch wichtiger als das Leben der eigenen Schwester?«, fragte Julia.
Sein Gesicht verzerrte sich. »Das war ganz allein deine Schuld!«
»Wer hat dir das denn eingeredet? Die Frau, die dich dazu angestachelt hat, mich zu quälen? Hat sie dich so sehr in der Hand?«
»Du verstehst gar nichts, Julia. Und du bist zu neugierig.«
»Ihr wollt einen Wirkstoff kreieren, der einem die jugendliche Haut zurückgibt, vorausgesetzt, man ist reich genug, um sich ein sündhaft teures Produkt leisten zu können. Und allein dafür – für das viele Geld – geht ihr über Leichen.«
»Das sind nur kleine Opfer für eine große Sache.«
»Das ist menschenverachtend und kriminell.«
»Aber du … du bist so gut, oder was? Dann zeig es doch. Beweis es: Wir haben Rebecca Stern. Die Frau, die du so gern sprechen wolltest. Sie hat nichts mit alldem hier zu tun. Wenn du alles machst, was ich dir sage, dann kommt sie mit dem Leben davon.«
»Noch mehr Blödsinn«, sagte Julia und stieß den Schlüssel mit dem Fuß zurück in Stefans Richtung. Dabei spürte sie den Druck des Messers an ihrer Rückseite. Plötzlich erinnerte sie sich wieder an ihre Ausbildung zur Messerwerferin. Es war die einzige Disziplin im Bereich des Varietés gewesen, in der die schwache Hoffnung bestanden hatte, dass aus ihr doch eine Artistin würde. Vielleicht ergab
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