Dornteufel: Thriller (German Edition)
Ruhe, und dies hier war eines, obwohl es auf den ersten Blick wie ein Hotel aussah. Zum Fahrstuhl war es nicht weit. Sie betrat die Kabine und stand zunächst unschlüssig vor den Knöpfen. Nach unten zur Rezeption? In den Wellnessbereich? Oder nach oben? Sie wollte mehr sehen von dieser Nacht in den Pyrenäen, also ließ sie sich bis ganz nach oben befördern.
Dort ähnelte der Gang dem, der vor ihrem Zimmer lag. Ein anderer Teppichboden, doch die gleichen Leuchten. Der Berghang lag rechts von ihr, aber sie wollte ins Tal hinuntersehen, also versuchte sie die Türen an der linken Seite. Die letzte ließ sich öffnen. Ihren Tropfständer hinter sich herziehend, betrat Rebecca einen Konferenzraum mit einem ellipsenförmigen Tisch und einem großen Monitor an der Stirnseite. Die Vorhänge waren aufgezogen, und die bodentiefen Fenster gewährten im Licht des Mondes und der Sterne einen grandiosen Ausblick auf die Pyrenäen. Rebecca schaltete die Beleuchtung nicht ein, um besser in die Nacht hinaussehen zu können. Langsam, fast andächtig, schritt sie auf die breite Glasfront zu. Vor ihr lag eine Art Terrasse, die so breit war wie die gesamte Frontseite des Raumes und an deren Ende links und rechts jeweils ein kleiner Turm stand, wodurch die Bezeichnung Château für das Gebäude gerechtfertigt erschien. Dahinter erstreckte sich das enge Tal, schwarz und verlassen, und auf der gegenüberliegenden Seite lagen schneebedeckte Gipfel, die im Mondlicht schimmerten. Irgendwo hinter diesen Bergen befand sich Andorra – oder war es Spanien? Zwischen den Ländern gab es eine natürliche Grenze, die durch vereinzelte Pässe überwunden werden konnte.
»Wunderschön, nicht wahr? Ich kann mich auch nicht daran sattsehen«, hörte Rebecca eine Stimme hinter sich.
Sie fuhr herum. Catherine Almond musste sich schon im Raum befunden haben, als sie hereingekommen war, denn Rebecca hatte keine Tür gehört, die geöffnet worden war. Der dicke Teppichboden verschluckte jedes Schrittgeräusch.
»Warum haben Sie nichts gesagt? Ich dachte, ich sei allein hier!«, erwiderte Rebecca. Ihr Herz klopfte wild.
»Es war ein so schönes Bild, Sie als ›Frau in Weiß‹ und der Tropf im Mondschein … Ich dachte zuerst, Sie würden schlafwandeln. Schlafwandler soll man nicht erschrecken, oder?«
»Kann schon sein, aber ich bin hellwach«, sagte Rebecca fest. Die Nähe dieser Frau war beängstigend, aber wenn sie ihre Furcht zeigte, war sie verloren.
»Eigentlich ein Wunder, bei dem Zeug, was wir Ihnen gerade zumuten«, meinte Catherine und schaute auf den Beutel mit der Flüssigkeit am Galgen.
»Ich komme damit klar, solange …« Solange es nur hilft, hatte sie sagen wollen. Rebecca sah ein merkwürdiges Lächeln über Catherines maskenhaftes Gesicht huschen. Es verschwand ganz schnell wieder; und trotz des Mondlichts war es so dunkel im Raum, dass Rebecca sich ihres Sinneseindrucks nicht sicher war. »Was ist?«, fragte sie scharf.
»Solange was? Sprechen Sie ruhig weiter. Wir sind ganz unter uns …«
»Solange ich nur wieder gesund werde«, stieß Rebecca hervor.
»Meine Liebe. Sagen Sie bloß, Sie zweifeln an uns? Zweifeln an dem guten Noel?« Catherine machte zwei, drei Schritte und blieb geradewegs vor der Glasfront stehen, sodass der Mond direkt auf das Gesicht mit den feinen, aber kalten Zügen schien.
In diesem Moment wurde Rebecca eines klar, und die Erkenntnis traf sie mit voller Wucht. »Ich werde nicht wieder gesund«, hauchte sie atemlos. »Nicht hier … und nicht durch Sie, nicht wahr?«
»Glaube versetzt bekanntlich Berge, und Noel glaubt fest an Ihre Genesung«, entgegnete Catherine trocken. »Und die Kochsalzlösung mit dem Beruhigungsmittel und einem Antidepressivum bekommt Ihnen ja auch recht gut«, fügte sie sarkastisch hinzu.
»Sie könnten es!«, flüsterte Rebecca heiser. »Sie könnten mich heilen, aber Sie wollen es nicht!« Sie spürte, dass ihr Körper vor Furcht und Abscheu wie erstarrt war.
»Warum sollte ich, wo es doch so mühsam und risikoreich war, Sie überhaupt erst mit dem Wirkstoff in Berührung zu bringen? Ich habe gehört, Ihre Concierge sei sogar deswegen gestorben. Für Sie!«
»Sie haben also mit dem Mord zu tun.«
»Nur indirekt. Es war nicht so geplant.«
»Frank Gellert«, murmelte Rebecca. »Was wollte er von mir?«
»Er hat nur einen kleinen Austausch vorgenommen: die Creme, die Sie regelmäßig benutzen, gegen eine andere. Es war Ihre Schuld, dass er zweimal bei Ihnen eindringen
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