Dornteufel: Thriller (German Edition)
Alternative dazu: Wenn sie beide hierblieben, würde er im Verlaufe der Nacht verbluten oder erfrieren. Sie musste also Hilfe holen – so schrecklich die Vorstellung auch war, ihn verwundet hier im Wald alleine zu lassen.
Sie hatte das Bein mit einem Streifen Stoff aus Roberts Hemd abgebunden, und es fühlte sich so an, als würde die Blutung schwächer werden; aber letztendlich war es zu dunkel, um das mit Sicherheit erkennen zu können. Julias Plan war, in das kleine Dorf unterhalb von St. Bassiès zu gehen, wo es sicherlich Telefone gab und wo sie Hilfe holen konnte.
Bevor sie aufstand, fasste Robert sie noch mal am Handgelenk. »Du nimmst das Messer mit.«
»Nein. Du brauchst es nötiger als ich. Ich kann weglaufen, du nicht.«
Er lachte zynisch auf. »Wenn du es nicht nimmst, stecke ich es dir zwischen die Rippen. Dann hat sich unser Problem auch erledigt.«
»Das wagst du nicht«, entgegnete sie. Dennoch nahm sie das Messer an sich, wog es kurz in der Hand und steckte es sich hinten unter den Gürtel. Wenn sie nicht durchkam, waren sie beide verloren. Sie prägte sich noch einmal den Baum ein, unter dem er lag. Er war nicht weit von der Felsformation entfernt, hinter der sie den Mineneingang vermutete.
»Beeil dich«, sagte er.
Mit dem Rücken zum Geländer stand Rebecca auf dem Balkon. Sie brauchte einen Plan, eine Idee – irgendwas, um nicht vor Angst den Verstand zu verlieren. »Wir können gewinnen, egal, wie hoffnungslos es auch aussieht, solange die Gegenseite uns nicht das Gegenteil beweist«, hatte sie ihren Mitarbeitern immer gepredigt. »Die anderen müssen es beweisen!« Diese Einstellung war stets das Geheimnis ihres Erfolges gewesen, und in der Vergangenheit hatte sie die eine oder andere aussichtslos erscheinende Lage tatsächlich in ihr Gegenteil verkehrt.
Doch nun … Sie spürte die kalte Nachtluft an ihren nackten Beinen und im Gesicht, das wieder spannte und juckte, jetzt, wo sie wusste, dass sie bloß mit einer Kochsalzlösung »behandelt« worden war.
»Ans Geländer«, befahl Catherine. »Denk daran, es ist für uns beide die beste Lösung. Und für Noël.«
Rebecca tat, wie ihr befohlen. Sie fühlte das kühle, feuchte Metall unter ihren Handflächen. Die Balustrade kam ihr lächerlich niedrig vor. Ein altes Haus – nicht nach neuen Bestimmungen gebaut … Ängstlich blickte sie nach unten. Dort schimmerte die gekieste Auffahrt im Mondschein wie frisch gefallener Schnee. Keine Bäume, Vordächer oder Büsche würden ihren Sturz bremsen.
Catherine hob die Hand und richtete den Lauf der Pistole genau auf das Gesicht von Rebecca. »Kletter über das Geländer!«
Sie schluckte. Ihre Kehle fühlte sich so trocken an wie Sandpapier. »Ich kann … das … nicht.«
»Los jetzt!«
Rebecca umklammerte mit den Händen fest das Eisen hinter sich und stellte vorsichtig einen Fuß aufs Geländer. Sie zwang sich, nicht nach unten zu sehen. Vielmehr blickte sie direkt in die Mündung der Pistole – und dann gab sie sich einen innerlichen Ruck. Mit dem Mut der Verzweiflung drückte sie sich vom Geländer ab und stürzte sich auf Catherine.
Ein Schuss hallte laut von der Fassade wider. Sie schießt wirklich auf mich , dachte Rebecca und spürte im selben Moment einen höllischen Schmerz in ihrer Seite. Mit einer ihr vollkommen unbekannten Wut packte sie ihre Feindin, die sie so sehr hasste. Catherine keuchte auf und wehrte sich, doch Rebecca krallte sich in ihre Haare, verbiss sich in ihrer Wange und riss an ihrem roten Blazer. Sie kämpften gegeneinander, bis sie beide mit den Oberkörpern weit über der Brüstung hingen. Catherine, die nur einen Meter fünfzig groß war, verlor zuerst den Halt unter ihren Füßen. Sie schrie ohrenbetäubend und trat um sich.
Rebecca war nun jenseits von Angst oder Schmerz. Kurz fragte sie sich, ob sie noch eine Chance hätte: Doch nein – diesmal hatte die Gegenseite klare Beweise vorgelegt. Sie würde ihr altes Leben nicht mehr zurückgewinnen können.
Moira, du weißt, wie es ist , dachte Rebecca, als sie ihre Entscheidung traf.
Sie lehnte sich, fest mit Catherine verkrallt, noch weiter über das Geländer und verlor den Halt unter den Füßen.
Julia lief den Weg zurück, den sie gekommen war: Sie hoffte es jedenfalls, denn es war nicht einfach, sich im dunklen Wald zu orientieren. Ihre Verfolger müssten jetzt weit hinter ihr sein. Keuchend und beinahe am Ende ihrer Kraft erreichte sie den Land Rover. Es hatte etwas Tröstliches, wie er dort
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