Dornteufel: Thriller (German Edition)
waren sie mit den Apparaturen über ihnen verbunden.
Julia taumelte zurück und presste sich die Hand vor den Mund. Warum lagen die Menschen hier? Befanden sie sich in einer Art Koma, war das hier eine Intensivstation? Doch wo waren die Ärzte, wo das Pflegepersonal? Die Menschen in den Becken sahen zwar tot aus, doch die blinkenden Lichter und die zuckenden Kurven auf den Monitoren über ihnen schienen anzuzeigen, dass noch Leben in ihnen war. Die Hinterköpfe sowie die Schultern, Rücken und Rückseiten der Beine ragten aus der Flüssigkeit heraus. Auf den frei liegenden Hautpartien waren Raster gezeichnet worden. Dort bedeckten rotbraune, pilzähnliche Geschwulste die Hautoberfläche, die unterschiedlich groß waren – von kaum sichtbar bis zu taubeneigroßen Fruchtkörpern. Sie saßen auf dünnen Stielen, die aus der Haut wuchsen. Julia spürte Übelkeit in sich aufsteigen.
Plötzlich lenkte ein Geräusch sie von dem grausigen Anblick ab: Leise surrend bewegte sich eine Kamera schräg über ihrem Kopf, bis das Objektiv auf sie gerichtet war. Julia stolperte ein paar Schritte in Richtung der Tür und stieß gegen ein weiteres Becken, dessen Flüssigkeit daraufhin hin- und herschwappte. Der Körper darin schien noch nicht ganz so stark wie bei den anderen Menschen hier mit pilzähnlichen Geschwulsten »bewachsen« zu sein, aber das Raster war schon zu erkennen, und die Haut sah aufgeweicht auf.
Julias Blick fiel auf die Schulter. Es dauerte jedoch ein paar Sekunden, bis ihr Verstand realisierte, was sie dort sah: ein Tattoo, das einen Dornteufel darstellte.
9. Kapitel
B IHAR , I NDIEN
Das war nicht Robert, der hier lag. Das durfte … Das konnte einfach nicht sein! Was bedeutete schon ein dämliches Tattoo: Jeder konnte sich das Bild eines Dornteufels in die Schulter stechen lassen, oder etwa nicht? Julia strich mit dem Finger über den Kopf des Dornteufels, der sie anzufauchen schien, und zuckte zurück, weil sich die Haut unter ihren Fingern warm und glitschig anfühlte.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Robert hatte fristlos gekündigt und das Gelände von Serail Almond verlassen. Wahrscheinlich befand er sich auf dem Weg zurück nach Deutschland, oder er ließ sich am Strand von Goa die Sonne auf den Bauch scheinen. Langhaarige Männer und barbusige Frauen mit Blumen im Haar, die zu Hippiemusik ihre Hüften wiegten, erschienen kurz in Julias Vorstellung. Alles war besser als das hier. Doch dann schob sich das tote Gesicht Ayran Bakshis vor ihr inneres Auge. Schlagartig hörte sie auf, sich ihren Fantasien hinzugeben. Das hier war die Realität.
Langsam löste sich ihre Erstarrung und machte aufkommender Panik Platz. Sie unterdrückte das Schluchzen, das ihr in der Kehle hochstieg. Nicht hier, nicht jetzt – wenn sie nicht genauso enden wollte wie Robert Parminski oder Bakshi. Eines war ihr klar: Die Kamera hatte ihre Anwesenheit aufgezeichnet, das unerlaubte Eindringen in einen nicht offiziell existierenden Bereich des Forschungszentrums. Sie musste an die Gerüchte über Serail Almond denken, die harmlos gewesen waren im Vergleich zu dem, was sie hier gerade entdeckt hatte. Wenn sie die Situation richtig einschätzte, blieb ihr wahrscheinlich nicht viel Zeit, um zu verschwinden. Sie warf noch einen Blick auf den Dornteufel, der halb in der grünen Flüssigkeit lag und immer noch zum Sprung bereit schien. Dann wandte sie sich mit einem Ruck von dem Anblick ab. Wenn sie Robert noch helfen konnte, dann nur außerhalb von Serail Almond. Für Trauer und Entsetzen blieb im Moment keine Zeit.
Sie musste sich zusammenreißen und einen Fluchtweg finden. Auch dieser Raum besaß einen Deckenauslass. Wenn sie den Edelstahlwagen, auf dem normalerweise Laborutensilien transportiert wurden, darunterrollte, käme sie vielleicht hinauf. Nein, doch nicht. Sie würde wohl mit den Händen hoch genug kommen, um die Abdeckung zu entfernen, aber nie im Leben käme sie anschließend durch die Öffnung. Sie hatte nicht genug Kraft in den Armen für einen derartigen Klimmzug. Im Nebenraum gab es allerdings einen Aktenschrank neben der Abluftöffnung an der Decke. Das Möbelstück war etwas mehr als anderthalb Meter hoch. Wenn sie den Laborwagen hinüberrollen würde, könnte sie zuerst auf ihn und dann auf den Schrank klettern – oder nicht? Es war jedenfalls ihre einzige Chance.
Julia rollte den Wagen zur Tür und öffnete sie. Der Wagen passte hindurch, aber im Schleusenbereich schrammte er laut klappernd an der Wand
Weitere Kostenlose Bücher