Dornteufel: Thriller (German Edition)
würde sie Robert nicht helfen können … Wenn es denn überhaupt noch etwas gab, was sie für ihn tun konnte. Die Befürchtung, ihn für immer verloren zu haben, schmerzte furchtbar. Und sie hatte nicht einmal die Zeit, ihre Trauer zuzulassen. Nicht hier und nicht jetzt.
Sie musste schleunigst fort von hier. Als sie jedoch an die Mauer, die das Gelände umgab, und die Toranlage dachte, verließ sie jede Zuversicht. Wie sollte sie hier nur herauskommen?
Julia sah ins Innere der Lagerhalle, die von Neonlampen erhellt wurde. Zwei Männer standen an einen Stapel Kisten gelehnt und unterhielten sich. Einer von ihnen war bestimmt der LKW-Fahrer. Die hintere Plane des LKWs war hochgerollt, seine Ladefläche leer bis auf ein paar Spanngurte, Packdecken und Folien, die auf dem Boden herumlagen. Offenbar hatte man den LKW gerade entladen. Julia kletterte auf die Ladefläche und versteckte sich unter einer Packdecke. Würde der Fahrer den leeren LKW kontrollieren, bevor er ihn verschloss? Und wenn er sie entdeckte – würde sie ihn überreden oder bestechen können, damit er sie mitnahm?
Schwer atmend verharrte Julia unter der nach Staub und Getreide riechenden Decke. Immer wieder wurde sie von Zitteranfällen heimgesucht. Sie wartete darauf, dass etwas passierte, trotzdem fuhr sie erschrocken zusammen, als sie hörte, wie die Heckplane herunterfiel. Die Wagentür schlug zu, und der LKW setzte sich in Bewegung. Doch das Flattern der Plane, die man augenscheinlich nicht wieder befestigt hatte, verhieß nichts Gutes. So würde der Fahrer keine weiten Strecken zurücklegen. Vielleicht fuhr er nur zur nächsten Rampe, um doch noch Ware zu laden?
Sie richtete sich auf, unsicher, ob sie abspringen oder an Ort und Stelle verharren sollte. Wenn sie absprang, sah der Fahrer sie im Rückspiegel. Oder der andere Mann stand noch an der Rampe und entdeckte sie. Außerdem wäre ihr linker Fuß danach wahrscheinlich überhaupt nicht mehr zu gebrauchen. Mangels echter Alternativen legte sich Julia wieder hin und wartete ab, was als Nächstes passierte. Nur wenige Augenblicke später stoppte der Laster mit quietschenden Bremsen. Sie hörte Stimmen. Die Kontrolle am Tor? Sie kauerte reglos unter der Decke. Wenn Wachleute die Ladefläche kontrollierten, würde man sie entdecken. Sie presste sich gegen die Rückwand und fühlte ihr Multitool in ihrer Tasche. Schnell – sie musste schnell handeln. Sie zog ihr Werkzeug-Set hervor und klappte das größte Messer heraus. Indien hatte Linksverkehr, sodass der Fahrer rechts saß, erinnerte sie sich, bevor sie an der linken Fahrzeugseite die Plane aufschlitzte. Sie stieg auf die Seitenbordwand und quetschte sich durch den Spalt, gerade als am Heck die Plane zur Seite geschlagen wurde und ein Lichtstrahl auf die Ladefläche fiel. Der LKW erbebte, als Männer mit schweren Stiefeln hinten einstiegen. Julia hielt sich, auf der Bordwandkante balancierend, an der Außenseite des Fahrzeugs fest und betete, dass weder der Riss in der Plane noch die Umrisse ihres Körpers von innen sichtbar waren.
Zumindest in einer Hinsicht hatte sie Glück: Sie klammerte sich an der Fahrzeugseite fest, die dem Pförtnergebäude abgewandt war. Vor ihr befand sich das massive Metalltor mit der Schleuse. Sie hörte das vertraute Klacken, und das Metalltor öffnete sich. Der LKW setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, sodass Julia fast abstürzte. Mit letzter Kraft schob sie sich durch den Spalt zurück auf die Ladefläche. Die Plane an der Rückwand des LKWs war nun heruntergelassen und festgezurrt. Der Wagen stoppte noch einmal für ein paar Minuten, als er sich in der Schleuse befand, anschließend verließ er das Firmengelände.
Die Fahrt war unbequem, und in Julias Knöchel pochte ein dumpfer Schmerz. Als sie den Fuß etwas höher legte, spürte sie in ihrer Tasche das Mobiltelefon und zog es hervor. Sie hatte es ausgeschaltet, als sie aufgebrochen war. Sollte sie nun jemanden anrufen und um Hilfe bitten? Mit einem Telefon von Serail Almond? Und wer konnte ihr helfen? Bei Serail Almond fiel ihr außer Robert keiner ein, und außerhalb des Konzerns kannte sie auch niemanden, dem sie vertrauen konnte. Die indische Polizei? Oder die deutsche Botschaft? Julia hatte große Zweifel, dass man ihren Worten Glauben schenken würde: Ein Großkonzern, der in seinem Forschungszentrum grausige Menschenversuche durchführte – das war auch für sie selbst bis vor Kurzem einfach unvorstellbar gewesen. Und wie schnell würde man
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