Dornteufel: Thriller (German Edition)
herabstürzenden Wassers übertönte alle anderen Geräusche. Durch die Gischt konnte sie kaum etwas sehen, doch direkt am Wasserfall war wirklich niemand. Verdeckt im Felsen montierte Lampen ließen das Wasser leuchten und tauchten die künstliche Grotte in blaues Licht. Julia schwamm hinein.
In der hintersten Ecke der Grotte trieb ein dunkelhaariger Mann bäuchlings auf dem Wasser; offenbar war er dort in einem kleinen Strudel gefangen. Er hatte die Arme ausgebreitet, nur der Hinterkopf und der Nacken guckten aus dem Wasser. Julia schnappte nach Luft. Ihr erster Impuls war, umzukehren und die künstliche Höhle zu verlassen. Sie riss sich jedoch zusammen, schwamm zu ihm und versuchte, ihn umzudrehen. Er war schwer, seine Haut fühlte sich warm an und war glitschig. Sie schaffte es erst im dritten Anlauf, und als sie sein Gesicht sah, bestätigte sich ihre schlimmste Vermutung: Es war Ayran Bakshi.
Er war tot. Seine Augen starrten ins Leere, und er hatte einen Schaumpilz vor dem Mund – ein Zeichen dafür, dass er ertrunken war. Sie kam zu spät. Parminskis ehemaliger Assistent konnte ihr nichts mehr mitteilen.
Julia stieß einen erstickten Schrei aus. Hören konnte sie hier niemand. Auch nicht sehen. Bakshi hatte den idealen Platz für ein geheimes Treffen gewählt – aber es war ihm zum Verhängnis geworden.
8. Kapitel
B IHAR , I NDIEN
Es war Viertel nach zehn, als Julia in ihr Apartment zurückkehrte. Der eilig gerufene Betriebsarzt hatte nur noch den Tod von Ayran Bakshi feststellen können. Später war die Polizei erschienen und hatte Julia zum Unfallhergang befragt. Sie hatte ihnen nicht gesagt, dass sie mit Bakshi verabredet gewesen war. Ihr war selbst nicht so ganz klar, was sie dazu veranlasst hatte, die Polizei anzulügen.
Sie stellte sich unter die heiße Dusche, rieb sich zweimal mit Duschgel ein und spülte den Schaum mit viel warmem Wasser wieder ab. Ich versuche, den Tod abzuwaschen , dachte sie immer noch zitternd. Sie frottierte sich ab, dann zog sie frische Unterwäsche, Jeans und ein T-Shirt an. Nach diesem furchtbaren Erlebnis würde sie gewiss nicht schlafen können. Außerdem fühlte sie sich nicht mehr sicher in einem Apartment, in den gewisse Mitarbeiter von Serail Almond aus- und eingehen konnten, wie sie wollten. Wo man versuchte, sie mit einer Kamera zu beobachten, sogar während sie schlief. Sie hatte das Objektiv im Rauchmelder zwar zerstört, war sich aber nicht sicher, ob nicht irgendwo noch eine andere Kamera installiert worden war. Wenn sie jetzt nicht nur herumgehen und auf jedes Geräusch lauschen wollte, musste sie irgendetwas tun. Aber was?
Sie holte schließlich die Ausdrucke von Lundgrens Plänen aus dem Schrank: die Klimaanlage von Trakt C. Pläne, die Parminski fotografiert hatte, bevor er – angeblich – fristlos gekündigt hatte.
Irgendetwas musste an diesen Plänen, an Lundgrens Arbeit überhaupt, faul sein. Auf den ersten Blick war die Anlage nur etwas verworren angelegt und überdimensioniert – einfach eine mittelprächtige und zum Teil miese Ingenieursleistung. Aber vielleicht steckte auch etwas anderes dahinter? Ein kleines Wort, von Lundgren nachträglich eingefügt, fiel ihr ins Auge. Es markierte einen Wartungszugang zu einem Schacht der Klimaanlage, der in der Tiefgarage direkt hinter einer Wand entlanglief: ingång . Das war schwedisch, wie sie inzwischen wusste – im Rollcontainer hatte sie ein Wörterbuch ihres Vorgängers entdeckt –, und hieß so viel wie »Eingang« oder »Einlass«. Jetzt, nachdem sie wie jeden Abend ihren »Rauchmelder« überprüft hatte, fiel ihr mit einem Mal ein, was die vielen von Lundgren eingezeichneten Winkel und Kreise bedeuten konnten. Sie markierten die Lage und den Kontrollbereich der Überwachungskameras. Parminski hatte davon gesprochen, dass die Videoüberwachung in Block C einmal ausgefallen war. Alles wurde überwacht. Sogar der kaum genutzte Trakt C. Doch Lundgrens ingång lag ausnahmsweise nicht innerhalb eines der Winkel. Der Revisionszugang zum Schacht wurde nicht von einer Kamera erfasst.
Julias Gedanken rotierten. Was sie so bestürzte, war der offenkundige Zusammenhang zwischen Parminskis Verschwinden und dem Tod von Ayran Bakshi – ein Tod, der eintrat, kurz bevor er mit ihr hatte reden können. Sie zweifelte nicht daran, dass es kein Unfall gewesen war, sondern Mord. Auch war sie fassungslos, dass der Betriebsarzt so schnell von einem »Unfalltod durch Ertrinken« gesprochen hatte, obwohl Bakshis
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