Dornteufel: Thriller (German Edition)
Schlucken, erleichtert, dass sein Körper nicht mehr dagegen rebellierte. Doch der Durst ließ sich nicht vollständig stillen. Er befürchtete, nun sein Leben lang unablässig Durst zu verspüren: eine nagende Gier nach Wasser – weil sein Körper diesen Mangel nicht so schnell vergessen würde.
Er überlegte, wann sein Drang, Wasser zu lassen, so stark sein würde, dass er auf sich aufmerksam machen müsste. Sollte er dann rufen oder klopfen? Bestand überhaupt die Chance, dass ihn jemand hörte? Und was war mit Navid? Wurde er medizinisch versorgt?
Obwohl er darauf hätte gefasst sein müssen, erschrak er, als die Tür aufging und drei Männer eintraten. Zwei Schwarzhaarige, die ihm bekannt vorkamen, und ein Hüne mit hellrotem Haar, wie er es noch nie gesehen hatte. Sie trugen Overalls, Schutzhelme und warme Parkas. Kamal fragte sich, ob es noch andere Besatzungsmitglieder auf dem Schiff gab, vielleicht auch höhere Dienstgrade, und wo sie alle waren. Vor allem – wo war der Kapitän?
Die Männer banden ihn los und zogen ihn mit sich nach draußen. Ob sie ihn jetzt auf die Brücke brachten? Feiner Sprühregen trieb fast waagerecht über das Deck. Kamal versuchte, mit den Männern zu reden. Sie ignorierten ihn, obwohl sie Englisch konnten, wie er den wenigen Worten entnahm, die sie sich zuwarfen. Er spürte ihre Verachtung, sah Hass und noch etwas anderes in ihren Augen … War es Aufregung? Erwartungsfreude? Sensationslust?
Er verlangte, den Kapitän zu sprechen. Sie lachten nur. Er begann zu zittern. Das war ganz schlecht. Zeige nie, dass du dich fürchtest! Ihm fielen wieder die Horrorstorys über blinde Passagiere ein, die er in der Villa Azadi gehört hatte. Er durfte ihnen seine Angst nicht zeigen. Aber gegen das Zittern war er machtlos.
Sie zerrten ihn in Richtung Reling.
B IHAR , I NDIEN
Zwischen den Männern begann eine lebhafte Unterhaltung, die Julia allerdings nicht verstehen konnte. Sie sah, dass im Dorf ein paar Lichter angingen. Jemand rief etwas. Eine Gruppe junger Männer löste sich aus dem Schatten der Hütten und schlenderte auf die Neuankömmlinge zu. Irgendwo plärrte ein Radio los, und ein großer Hund sprang kläffend heran, schnüffelte an Julias Bein und umrundete dann den LKW. Ein weiteres Fahrzeug, ein Kleinlaster, fuhr herbei und kam ebenfalls auf der anderen Seite des LKWs zum Stehen. Erneut stiegen Personen aus und beteiligten sich an der Diskussion.
Julia wurde immer nervöser. Wenn einer der Männer um den LKW herumging, würde er sie entdecken. Kurz erwog sie, in den LKW zu steigen und loszufahren – und in den nächsten Ort, in die nächste Stadt zu fliehen. Doch da sie erst auf beengtem Raum würde wenden müssen, bevor sie richtig Gas geben konnte, war dieses Vorhaben wenig aussichtsreich. Es wäre für die Männer ein Leichtes, in die Fahrerkabine zu springen und sie zu überwältigen. Außerdem wusste sie nicht, ob sie mit dem verletzten Knöchel kräftig genug auf das Kupplungspedal eines mindestens fünfzig Jahre alten LKWs treten konnte.
Sie hörte sich schnell nähernde Motorräder. Julia wandte sich um und sah zwei Biker. Entschlossen trat sie vor und winkte den beiden zu, die daraufhin neben ihr anhielten. Der eine hatte einen Affen mit einem Halsband hinter sich sitzen; der andere grinste sie an und zeigte dabei seine leuchtend weißen Zähne.
Die wenigen Worte Hindi, die Julia gelernt hatte, reichten für das, was sie sagen wollte, bei Weitem nicht aus. Daher betete sie, dass einer der beiden Englisch sprach, und fragte: »Können Sie mich von hier fortbringen?« Sie zog demonstrativ ein paar Geldscheine aus der Tasche.
»Wohin wollen Sie denn?«, entgegnete der Motorradfahrer, ohne das Geld auch nur zu beachten.
Sie zeigte mit dem Kopf in Richtung des Dorfes. Er verzog den Mund zu einem breiten Lächeln und bedeutete ihr mit der Hand, auf dem Sozius Platz zu nehmen. Keine Sekunde zu früh, denn hinter dem LKW tauchte ein Mann auf, der Julia etwas zurief, als er sie sah. Rasch schwang sie ihr Bein über das Motorrad und hielt sich an dem Fahrer fest. Er startete, es gab einen Ruck, und sie schossen vorwärts. Der Fahrer hielt auf die Ansammlung dicht stehender Hütten zu, zwischen denen es keine Durchfahrt zu geben schien. Erst im letzten Moment war eine dunkle Gasse zu erkennen.
Die schmale Straße war um diese Uhrzeit menschenleer, und Julia betete, dass dies auch so bleiben möge. Hinter ihnen folgte in kurzem Abstand das zweite Motorrad mit dem
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