Dornteufel: Thriller (German Edition)
»Wollen Sie sich setzen?«, fragte er widerstrebend.
»Vielen Dank.« Julia nahm Platz und sah sich noch einmal prüfend um, wie es ihr inzwischen zur Gewohnheit geworden war. Sie stellte sich vor, wagte aber nicht, ihren wahren Namen zu erwähnen. Erneut nannte sie sich Viola und setzte noch den Mädchennamen ihrer Mutter, Brandner, hinzu.
Er hieß Rajani Patil und sprach fließend Deutsch mit einem sehr charmanten Akzent. Und Julia hatte sich nicht getäuscht, was seinen Beruf anbelangte: Er organisierte Touren durch Indien.
Julia kam sogleich zur Sache. »Ich möchte nach Kolkata reisen. Dafür suche ich ein Auto mit einem erfahrenen Fahrer.«
»Wissen Sie, wie weit das ist?«, fragte Patil mit hochgezogener Augenbraue.
»Sechshundert Kilometer«, antwortete Julia. »Ist das an einem Tag zu schaffen?«
»Es hängt davon ab. Trotzdem würde ich Ihnen raten, zu fliegen oder mit dem Zug zu fahren. Wissen Sie, wo Sie ein Ticket bekommen?«
Sie überlegte, wie viel sie ihm anvertrauen sollte – oder gar musste. Schließlich wollte sie etwas von ihm. »Ich habe meinen Reisepass verloren«, bekannte sie. »Ich muss zum Generalkonsulat in Kolkata, um einen Ersatzpass zu beantragen.«
Patil schnalzte bedauernd mit der Zunge. »Das ist allerdings ein Problem«, gab er zu. »Ich würde Ihnen raten, sich in dieser Angelegenheit besser an die Polizei zu wenden.« Er musterte sie mit mäßigem Interesse.
»Ich habe den Verlust schon angezeigt«, behauptete Julia. »Und nun muss ich schnellstmöglich nach Kolkata.«
»Nun gut, Frau … Brandner. Eventuell kenne ich jemanden. Sie haben nicht auch Ihr Geld verloren, oder?« Er warf einen prüfenden Blick auf ihre Schweizer Uhr, die sie sich nach Unterzeichnung ihres ersten Arbeitsvertrags als Ingenieurin gekauft hatte.
»Was denken Sie, was es kosten würde?«, fragte sie.
Patil nannte eine Summe. »Im Voraus«, setzte er leise hinzu und sah sie aufmerksam an.
»Dafür kann ich ja dreimal fliegen«, entgegnete Julia ärgerlich.
»Nein, können Sie nicht …« Sein Lächeln blieb höflich, aber seine Augen glitzerten spöttisch. »Nicht ohne Ihren Pass. Wir Inder haben ein paar verhängnisvolle Dinge von den Engländern geerbt. Eines davon ist die Bürokratie.«
Julia handelte ihn noch ein wenig herunter, doch er war hartnäckig, was seine Geldforderung betraf. Und im Grunde war es ihr fast egal, wie viel es kosten würde – wenn sie nur heil aus der Sache herauskam. Das schien er zu spüren. Schließlich sagte sie: »Ich zahle die erste Hälfte vorab und die zweite, wenn ich in Kolkata vor dem Generalkonsulat stehe.«
Patil nickte knapp. »Geben Sie mir eine halbe Stunde. Meine Leute hier«, er deutete auf die Deutschen am Nebentisch, »sind noch eine Weile beschäftigt.«
Julia atmete tief durch. Gut möglich, dass er ihr Bild in der Zeitung gesehen hatte. Dass er die Polizei oder Serail Almond verständigte.
Immerhin war eine üppige Belohnung auf sie ausgesetzt. Doch es nützte nichts. Irgendwem musste sie in dieser Angelegenheit vertrauen. »Wen werden Sie fragen?«
»Meinen Cousin«, antwortete Rajani Patil, ohne zu zögern. »Er ist ein guter Autofahrer und sehr zuverlässig. Er heißt Mahesh … Sie können ihm vertrauen.«
13. Kapitel
M ANHATTAN , N EW Y ORK , USA
Eine wunderschöne Frau und Tränen – was für eine nervtötende Kombination, dachte Ryan Ferland. Er rutschte unruhig auf der glatten Bank des Imbisses hin und her. Das Bubby’s in der Hudson Street, das sie vorgeschlagen hatte, war laut und überfüllt gewesen, und deshalb hatten sie es umgehend verlassen. Jetzt saß sie ihm gegenüber: Svetlana, Moira Sterns beste und einzige Freundin, wie sie von sich behauptete.
Sie war gerade von einem Fototermin aus Florida zurückgekehrt und hatte von ihrer Kollegin Kim erfahren, dass Ferland jemanden suchte, mit dem er über Moira sprechen konnte. Klar, dass die Schnepfe am Empfang das nicht weitergegeben hatte. Auch heute, als er zehn Minuten in den heiligen Hallen von Millennium Faces auf Svetlana gewartet hatte, hätte sie ihn während dieser Zeit wohl am liebsten in der Putzkammer versteckt. Seine Optik passte nicht zum Image von Millennium Faces . Der Vorschlag, sich in den Räumen der Agentur zu treffen, war von Svetlana gekommen. Sie hatte regelrecht darauf bestanden und auch seinen Polizeiausweis mehr als aufmerksam betrachtet. War sie von Natur aus misstrauisch – oder erst seit Moiras Tod? Das zumindest wäre ein Punkt, an dem er
Weitere Kostenlose Bücher