Dornteufel: Thriller (German Edition)
gezeigt, wie sehr sie ihn liebte. Mit erhobenem Kopf marschierte sie zur Damentoilette.
Nachdem sie auf der Toilette gewesen war, wusch sie sich sorgsam die Hände und kontrollierte ihr Aussehen im Spiegel. Makellos, wenn man davon absah, dass sie keine zweiundzwanzig mehr war wie Moira. Sie zog sich die Lippen nach und ging wieder in die Bar. Noël hatte ihr den Rücken zugewandt. Er telefonierte. Seine Stimme klang so erregt, dass sie neugierig wurde. Sie blieb hinter ihm stehen und lauschte.
»Es war ein Unbefugter da drinnen? Ich dachte, das sei alles hermetisch abgeriegelt?« Er schwieg einen Moment. »Eine Ingenieurin! Etwa der Ersatz für diesen lästigen Lundgren? … Und was meinen Sie mit ›weg‹, Gallagher?«
Rebecca blieb im Hintergrund stehen und tat so, als schreibe sie eine SMS.
»Die weiß also Bescheid? Und jetzt läuft diese Julia Bruck in Indien herum?« Noël trommelte mit den Fingern auf den Tresen. »Sehen Sie zu, dass Sie das in den Griff bekommen mit dieser Ingenieurin. Sie darf nicht reden. Und behelligen Sie Catherine nicht damit!«
Rebecca tippte ihm leicht auf die Schulter. »Ich muss nach Hause. Danke fürs Abholen, Noël.«
Überrascht drehte er sich um. »Was? Jetzt schon?« Er war ziemlich verwirrt. »Und wann sehen wir uns wieder?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Das liegt an dir. Hast du noch genug Geld, um die Drinks zu bezahlen, oder steht es schon zu schlecht um euch?«, fragte sie lächelnd. Dann ging sie.
Am Ausgang schaute Rebecca kurz über die Schulter, um Noëls Reaktion zu sehen. Er starrte ihr nach. Doch er schien nicht sauer zu sein, nicht einmal verwundert. Er wirkte eher … erleichtert. Wahrscheinlich dachte er: Ein Problem weniger, um das ich mich kümmern muss. Sie hatte eigentlich mit ihm reden wollen – vielleicht sogar über ihre Erlebnisse in New York. Aber das ging erst, wenn er den Kopf wieder für sie freihatte. Er verließ sich darauf, dass sie warten würde, bis er wieder zu ihr käme. Und die Schwierigkeiten bei Serail Almond verdarben ihm anscheinend die Lust auf alles – sogar auf Sex. Dann war es wirklich ein ernstes Problem.
Während sie unter einem Vordach auf ein Taxi wartete und der nasskalte Wind an ihren Haaren und dem Mantel zog, fragte sie sich, um was für Schwierigkeiten es sich wohl handelte, in die Serail Almond da geraten war? Und was war das mit der Ingenieurin gewesen, die nicht reden durfte? So eine Information musste doch einen gewissen Wert besitzen. Sie war wütend. Zu wütend, um klar zu denken. Rebecca zog ihr Telefon hervor, um Paul Renard anzurufen. Er hatte immer noch, auch drei Jahre nachdem es vorbei war, die Kurzwahlziffer Zwei.
P ATNA , B IHAR , I NDIEN
Eine Gruppe von sechs Deutschen betrat das Restaurant und sah sich laut diskutierend nach einem freien Tisch um. Es waren drei Paare, in praktischen beigen Hemden, Blusen und Hosen gekleidet. Sie hatten altes, bequemes Schuhwerk an den Füßen, auf denen sie wahrscheinlich schon gute sechzig Jahre die Welt unsicher machten. Julia beobachtete, dass auch ein elegant aussehender Inder zu ihnen gehörte, der einen grauen Anzug im westlichen Stil trug. Er sprach mit dem Kellner, steckte ihm einen Schein zu, und die kleine Reisegruppe wurde zu einem Tisch in der Ecke geführt. Der Inder schien ihr Reiseleiter zu sein. Sicher kannte er sich gut aus in Patna … Der Mann sprach noch kurz mit den Deutschen, lächelte höflich und setzte sich dann ein kleines Stück abseits der Gruppe an einen Zweiertisch. Er holte ein paar Unterlagen hervor, und kurz darauf hatte er sein Telefon am Ohr.
Julia kam eine Idee. Sie wartete, bis er sein Gespräch beendet hatte und seine Schützlinge mit dem ersten Gang beschäftigt waren, dann ging sie zu ihm hinüber. Er sah überrascht zu ihr auf: ein gut aussehender Mann mit dunkler, glatter Haut, fast schwarzen Augen und dichtem, kurz geschnittenem Haar, das an den Schläfen grau wurde. Erst in diesem Moment wurde ihr klar, was für einen seltsamen Anblick sie bieten musste. Sie hatte sich zwar im Waschraum des Restaurants notdürftig wieder hergerichtet, aber die letzten Tage und Nächte waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Sie setzte ein gewinnendes Lächeln auf und fragte, ob sie ihn kurz sprechen könne.
»Womit kann ich Ihnen helfen?« Er klang höflich, aber seine Zurückhaltung war nicht nur darauf zurückzuführen, dass sie, eine europäische Frau, in aller Öffentlichkeit einen ihr unbekannten indischen Mann ansprach.
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