Dornteufel: Thriller (German Edition)
jeden Wirbel einzeln ab.
Rebecca legte den Kopf zurück, sodass er seine Hand zurückziehen musste. »Fahren Sie uns bitte ins Le 27, Rue Vineuse«, wies sie Noels Chauffeur an. »Ich mag jetzt nicht diskutieren, Noel. Aber ich warne dich: So einfach kommst du mir nicht davon.«
»Ich kann auch sofort zurückfliegen«, sagte Noel beleidigt. »Es war nicht gerade einfach, mich für dich loszueisen. Im Büro brennt die Luft.«
»So wie ich Catherine einschätze, hat sie alles unter Kontrolle«, erwiderte Rebecca. Und ganz besonders dich , ergänzte sie in Gedanken.
Noël entgegnete nichts darauf.
H AJIPUR , B IHAR , I NDIEN
Julia ging zurück zum Chai-Shop. Vor dem Geschäft standen ein paar dreirädrige, reich geschmückte Motorrikschas. Sie fragte einen der Fahrer, ob er sie nach Patna bringen könnte. Er verlangte tausend Rupien, doch sie handelte ihn auf vierhundertfünfzig Rupien herunter. Als er noch weitere Leute zusteigen ließ, minimierte sich der Betrag für Julia auf zweihundert Rupien. Nur noch wenig Bargeld zu besitzen wirkte sich förderlich auf ihr Verhandlungsgeschick aus.
Der Weg führte sie über die mehr als fünf Kilometer lange Mahatma-Gandhi-Setu-Brücke, die sie schon einmal passiert hatte. Die Maut dafür musste sie sich mit den anderen Passagieren teilen, was ihr Bargeld auf einen kläglichen Rest zusammenschrumpfen ließ. Dafür genoss sie im seitlich offenen Gefährt, in dem man jeden Spalt und jede Fuge in der Fahrbahn nachdrücklich spürte, den grandiosen Blick auf die bräunlich schimmernde, weite Fläche des Ganges und die ihn umgebende Ebene.
Die Fahrt durch Patna erinnerte Julia an ein Rennen mit waghalsigen Wende- und Überholmanövern, und ihr wurde sogar ein wenig flau im Magen. Den letzten Teil der Strecke legten sie durchweg hupend und mehr oder weniger auf zwei Rädern zurück. Als sie vor dem Bahnhof von Patna zum Stehen kamen, widerstand Julia nur knapp dem Impuls, sich zu bekreuzigen. Doch kaum hatte sie ihre Füße auf den vor Hitze weichen Asphalt gesetzt, fühlte sie sich besser – und vor allem sicherer. Im Gewühl der Großstadt sollte man sie erst einmal finden!
Sie kam an einer Bank vorbei und hob in einer längeren Prozedur die maximal erlaubte Bargeldmenge von ihrem Konto ab. Dadurch legte sie zwar eine Datenspur, die zu Patna und dieser Bankfiliale führte, aber ihre Verfolger mussten sie erst einmal in dieser Millionenstadt ausfindig machen. Wenn alles gut ging, war sie heute Nachmittag schon auf dem Weg nach Kolkata oder Delhi. Julia kaufte sich eine Landkarte, ein paar Kleidungsstücke inklusive Sonnenbrille und -hut, Kosmetikartikel und eine Reisetasche, in der sich alles verstauen ließ. Danach hielt sie nach einem Platz Ausschau, wo sie sich frisch machen und etwas essen konnte. Sie entschied sich schließlich für ein Hotel in der Exhibition Road, nicht allzu weit vom Bahnhof entfernt. Seltsamerweise musste sie zwei Stockwerke hochsteigen, um die Rezeption des Windsor Hotels zu erreichen.
Später besuchte sie das hauseigene Restaurant, in dem lebhafter Betrieb herrschte: Es gab hier viele Ausländer, Geschäftsreisende und auch ein paar Touristen. Nachdem Julia Reshami Kebab und Coconut Rice verspeist und einen Kaffee getrunken hatte, fühlte sie sich fast euphorisch. Das änderte sich, als sie die neu erworbene Landkarte studierte. Vor ihr lagen fast sechshundert Kilometer bis nach Kolkata. Ein weiter Teil davon führte quer durch Bihar. Und es gab im Grunde nur eine zweckmäßige Route: über die National Highways 22 und 2. Alternativ könnte sie zwar noch über Bihar Sharif und den NH 31 zum NH 2 fahren, doch es wäre für ihre Verfolger kein Problem, sie auf dieser Strecke abzufangen. Nach Delhi, das rund tausend Kilometer entfernt lag, sah es auch nicht viel besser aus. Und gen Norden nach Nepal zu reisen, was gar nicht mal so weit entfernt lag, war ohne Reisepass nicht sinnvoll.
Julia trank den letzten Rest ihres Kaffees und stützte den Kopf in die Hände. Ihre Gedanken zu kontrollieren, sich immer wieder auf das direkt vor ihr liegende Problem zu fokussieren, kostete Kraft. Und was war mit Marvin, Paula und Niklas? Hatte die Polizei die drei einkassiert, um sie zu befragen? Was würde sonst noch mit ihnen geschehen? Und wie hatten ihre Verfolger sie überhaupt gefunden? War sie selbst doch nicht so gut darin, sich zu verstecken, wie sie in ihrer Naivität dachte? Sie sah sich um: Mitten in Patna war sie zwar für den Moment sicher, aber im
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