Dornteufel: Thriller (German Edition)
Erinnerung würde ihn an diesem Punkt verlassen, doch er war sich sicher: Er hatte sie mit Kügelchen beworfen, die von ihm aus Papierserviettenfetzen unter Zuhilfenahme von Spucke geformt worden waren. Er brauchte nie wieder aufzustehen. Sein Leben war aus und vorbei.
Aber schon eine halbe Stunde später war Paul aufgestanden und hatte zu seinen alten Geheimwaffen gegen Frust, Antriebsschwäche und allgemein aussichtslose Situationen gegriffen: einem Notizblock, seinem aufgeladenen Notebook und einem Bier in einem Straßencafé. Er war schon zu lange im Geschäft, um noch zu glauben, dass Zögern und Leiden seine Lage irgendwie verbessern könnten. Arbeit hingegen half.
Als Erstes schrieb er eine förmliche Entschuldigungsmail an Emmeline, die er allerdings nicht abschickte. Er fühlte sich gleich schon viel besser und las in seinem Notizblock nach, was er sich im Anschluss an sein Gespräch mit Rebecca notiert hatte. Viel war es nicht, was sie ihm gegeben hatte. Aber er vertraute ihrem Gespür. Eine spontan einberufene Krisensitzung und eine Ingenieurin bei Serail Almond in Indien, die zum Schweigen gebracht werden sollte? Er konnte es sich nicht leisten, mal kurz nach Indien zu fliegen, um sich persönlich bei diesem Gallagher danach zu erkundigen. Er würde sich erst mal in das Thema einlesen und dann sehen, ob ihn etwas ansprang. Besonders den Typen, der seine Visitenkarten auf der Aurelie hatte liegen lassen, musste er überprüfen.
Zwei Biere, eine halbe Schachtel Zigaretten und ein leichtes Mittagsmahl später kam Paul sich vor wie Ali Baba vor der Räuberhöhle, aber ohne den sie öffnenden Zauberspruch zu kennen. Er stieg auf Kaffee um, woraufhin sein Magen wie immer mit fiesem Stechen antwortete, aber sein Gehirn einen Gang zulegte. Nicht Serail Almond selbst war das »Sesam, öffne dich!«, sondern die Beziehungen, die sonstigen Unternehmungen und Jobs der Vorstandsmitglieder, die sie anscheinend nicht gern im Licht der Öffentlichkeit ausgebreitet wissen wollten, sagte er sich.
Über Noël Almond, Rebeccas Lover oder Exlover, wie er hoffte, gab es Unmengen an Informationen. Die meisten davon schienen belanglos zu sein. Noël war beliebt bei der Klatschpresse, da er sich auf den Nobel-Partys und an den Laufstegen der Côte d’Azur oft sehen ließ. Und er war der stolze Besitzer der Aurelie , einer Elegance 98 Dynasty: Die knapp dreißig Meter lange Motorjacht besaß zwei MTU-16-Zylinder-Dieselmotoren, die jeweils zweitausendvierhundert PS stark waren; zudem hieß es, das Schiff habe unter anderem zwei Außen-Whirlpools. So was lasen die Leute gern, wenn sie sich echauffieren wollten. Dass Noël Almond auch Vorstandsmitglied von Serail Almond und dort für den Bereich Personal und Strategie zuständig war, blieb zumeist unerwähnt.
Paul erfuhr auch, dass Noël in Biochemie promoviert hatte, während seine Ehefrau, Catherine Almond, geborene Kendall, ein Doktorin der Wirtschaftswissenschaften war. Im Unterschied zu ihrem Mann gab es über sie wenig im World Wide Web. Vielleicht hatte sie mal professionell aufräumen lassen? Es wurde ja immer beliebter, unliebsame Jugendsünden gegen Geld verschwinden zu lassen. Eine Information war den Säuberungen allerdings entgangen: ihr Spitzname »die Kalte« – nach Shitala, der indischen Pockengöttin. Paul fand auch die Information wieder, die er Rebecca weitergegeben hatte. Catherine Almond hatte eine Bronzefigur der Göttin in ihrem Büro aufgestellt und opferte ihr regelmäßig kalte Speisen … Vielleicht mochte sie ja den Vergleich mit der furchterregenden Shitala? Es gab bloß ein paar offizielle Fotos von Catherine Almond und insgesamt nur sehr wenige Informationen über ihre Zeit vor Serail Almond, in deren Vorstand sie gekommen war, nachdem sie Noël geheiratet hatte. Mittlerweile war sie seit vier Jahren die Vorstandsvorsitzende. Es hieß, die Geschäfte führe sowieso weitgehend sie, während er sich mehr den angenehmen Seiten des Lebens widmete. Es schien zu funktionieren. Noël Almonds Begleiterinnen kamen und gingen, ohne dass es Catherine zu irritieren schien. Rebecca hielt sich anscheinend schon erstaunlich lange an seiner Seite. An ihrer Stelle hätte er sich in Acht genommen vor Catherine Almond. Sie war außer bei Serail Almond noch im Vorstand einer Privatklinik im Departement Ariège; Paul kostete es einiges an Kombinationsgabe, um das herauszufinden.
Stefan Wilson war das dritte Vorstandsmitglied von Serail Almond. Der mittelständische
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