Dornteufel: Thriller (German Edition)
Ohrensessel und der wuchtigen Anrichte aus Mahagoni, und ihr Rücken war blutüberströmt. Rebeccas Blickfeld verengte sich. Bloß nicht ohnmächtig werden. Sieh hin! Sie schaute nach unten und betrachtete als Erstes die Pantoffeln, die neben den Füßen lagen. Madame Bertrand trug unter ihrem hochgerutschten Kleid Nylonkniestrümpfe, deren Ränder ihr unterhalb der Knie ins weiche Fleisch schnitten. Rebeccas Blick glitt den Körper hinauf und heftete sich auf den blutdurchtränkten, zerfetzten Stoff zwischen den Schulterblättern. Eine Stichwaffe war nicht zu sehen.
Schau dir ihr Gesicht an! , sagte Rebecca zu sich selbst. Sie ging zwei Schritte vor und beugte sich zum Kopf der Frau herunter. Lebte Madame Bertrand vielleicht noch? Sie musste den Rettungskräften am Telefon doch sagen, was sie hier erwartete. Aber sie vermochte nur auf das in steife Locken gelegte Haar zu starren; sie traute sich nicht, den Kopf zur Seite zu drehen. Neben der Schulter war Blut in den Teppich gesickert.
Rebecca schluckte. Sie überwand sich und fasste der Concierge an den schlaffen Hals. Die Haut schien warm zu sein, aber ihre Hände waren ja auch eiskalt. Fühlte sie einen Puls? Schließlich ergriff sie die Frau an der Schulter und drehte sie ein Stück herum, um ihr ins Gesicht zu sehen. Es war rot und verquollen. Rebecca schrie auf, als Madame Bertrands Augen sie blicklos anstarrten.
Schon wieder war Rebecca direkt neben einer Leiche gewesen. Und diesmal handelte es sich sogar um Mord. Sie hatte wirklich eine Pechsträhne. Rebecca dachte an den Tod von Madame Bertrand und an das Schicksal ihrer Schwester und korrigierte sich: nicht sie, die Menschen in ihrem Umfeld … Was war das für eine schlechte Welt, in der sie lebte. Wo mitten in Paris eine harmlose ältere Frau, die nichts von größerem Wert besaß und niemandem etwas getan hatte, in ihrer Wohnung überfallen und brutal niedergestochen wurde. In dem Haus, wo sie, Rebecca, wohnte. Wo war man eigentlich noch sicher?
Nachdem sie eine erste Aussage zu Protokoll gegeben hatte, ging sie in Begleitung einer Polizistin zu ihrer Wohnung. Alle Türen im Haus wurden auf Einbruchspuren hin untersucht. Immerhin war es möglich, dass die Concierge einen Einbrecher auf frischer Tat ertappt hatte; aber dieser Verdacht bestätigte sich bislang nicht. Auch an Rebeccas Tür war nichts zu sehen, was auf ein gewaltsames Eindringen schließen ließ.
»Vielleicht hat die Concierge ihren Mörder überrascht, bevor er hier irgendwo einbrechen konnte«, vermutete die Beamtin, während sie Rebecca in ihre Wohnung folgte. Bei den anderen Mietern ist doch viel mehr zu holen als da unten bei der toten Frau , sagte der Blick, mit dem sie Rebeccas minimalistische Einrichtung musterte. Die Lampen von Luceplan und Milan Dau, die Le-Corbusier-Liege, ein leuchtendes Gemälde von Shinique Smith – eines der Geschenke von Noël.
»Sehen Sie sich in Ruhe in allen Räumen um und schauen Sie nach, ob irgendetwas fehlt oder anders ist als sonst«, sagte die Beamtin. »Ich denke jedoch nicht, dass er hier drinnen war … Sie stehen nach dem Erlebnis unten noch unter Schock. Das ist völlig normal. Ich warte, bis Sie sich wieder sicher fühlen.«
Nie wieder wird das der Fall sein , dachte Rebecca. Nicht nach dem Anblick der Ermordeten. Sie folgte der Aufforderung der Polizistin und schritt durch Wohn- und Esszimmer. Alles sah aus wie immer, dennoch fühlte sich ihre Wohnung irgendwie fremd an. Sie warf einen Blick in die Küche, ins Schlafzimmer. Nichts Auffälliges, bis auf … den Geruch. Hatte sie immer noch den schrecklichen Gestank aus Madame Bertrands Wohnung in der Nase? Nein … Im Badezimmer war der eigenartige Geruch am deutlichsten. Sie hatte das schon einmal gerochen – aber wo?
»Würden Sie bitte einmal herkommen«, stieß Rebecca angespannt hervor. Sie hörte die quietschenden Laute von Gummisohlen auf dem Parkett. Die Beamtin trug im Dienst bequeme Schuhe. Wie sie sich wohl in ihrer Freizeit kleidete, mit dem stabilen Körperbau? Die Frau trat hinter ihr ins Bad. »Riechen Sie das?«, fragte Rebecca.
»Hier könnte mal gelüftet werden.«
»Ich meine, dieses … als hätte ich ein Haustier, einen Hamster oder Mäuse. Ich habe aber keine Haustiere!«
»Tut mir leid, ich kann nichts feststellen. Fehlt denn etwas?«
»Ich glaube nicht.«
»Sie stehen unter Schock, Madame Stern. Soll ich jemanden für Sie anrufen?«
»Nein, danke.« Noël war in Deutschland, Paul … Warum dachte sie
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