Dornteufel: Thriller (German Edition)
Betrieb, den er von seinem verstorbenen Vater geerbt hatte, war in Fachkreisen wegen seiner hervorragenden Forschungsabteilung bekannt gewesen. Man hatte angefangen, im Bereich Biotechnologie zu forschen, bevor die Firma aufgekauft worden war. Wilson hatte die Übernahme seines Unternehmens durch Serail Almond dazu genutzt, um selbst in den Vorstand des Konzerns aufzusteigen. Er war dort für den Bereich Technologie und Innovation zuständig. In einem Interview hatte er mit pathetischen Worten den schmerzhaften, aber lohnenswerten Schritt hervorgehoben, den es für ihn bedeutet habe, sich aus der Forschungsarbeit zurückzuziehen, um sich nur noch auf das wirtschaftliche Wohl von Serail Almond zu konzentrieren. Paul Renard entdeckte noch andere heroische Eigenschaften an dem Unternehmer: Engagement für den Sport – Wilson war in seiner Jugend ein erfolgreicher Hockeyspieler gewesen – und selbstredend auch für gemeinnützige Organisationen. Er hatte sich in seiner Jugend für den Naturschutz eingesetzt und war nun im Vorstand eines Vereins, der sich um Flüchtlinge aus Krisengebieten kümmerte. Vor allem dieses Engagement wurde in der Presse »gewürdigt«. So zeigte ein Illustrierten-Foto, wie er einem farbigen Flüchtling mit Goldzahn-Lächeln die Hand reichte und dabei sein gebräuntes Gesicht perfekt in Szene setzte. Paul Renard wusste nicht, welchen der drei er abstoßender finden sollte: Noël Almond, die hedonistische Kröte, Catherine Almond, »die Kalte«, oder »Smarty« Wilson mit der Hockey-Bräune?
Blieb noch das vierte Vorstandsmitglied von Serail Almond: Dr. Ralph Kämper, eine blasse Erscheinung. Er war für die Finanzen zuständig und grundsolide, wie erste Recherchen suggerierten. Und nun waren sie alle in Hamburg, weil Serail Almond in irgendwelchen Schwierigkeiten steckte.
Beim Blick auf die Papierserviette neben seinem Teller musste Paul wieder an Emmeline Bellier denken. Ihr triumphierendes Lächeln. Er hatte zwar noch nichts Konkretes gegen Serail Almond in der Hand, aber etwas Besseres als einen verwesten Finger in einer Thunfischdose sollte in Hamburg doch wohl aufzutreiben sein.
16. Kapitel
P ARIS , F RANKREICH
Rebecca Stern verließ die Metro an der Station Madeleine . Es regnete schon wieder. Sie spannte den Schirm auf, den sie in ihrer pistaziengrünen Ledertasche mit sich trug. Nichts wirkte unprofessioneller, als mit nassen Haaren und verschmiertem Make-up bei einem Kunden zu erscheinen. Und dazu reichten im Zweifelsfall die zehn Meter vom Taxi zum Eingang eines Bürogebäudes. Desgleichen aß sie auch keine Schokolade mehr, wenn sie beruflich unterwegs war. Einmal hatte sie sich, kurz vor dem nahenden Hungertod, an einer Tankstelle einen Müsliriegel mit Schokolade gekauft, ihn im Auto heruntergeschlungen und im Dunkeln nicht bemerkt, dass anschließend ein Schokoladenfleck auf dem Revers ihres Blazers prangte. Ohne es zu wissen, hatte sie so einen Kunden begrüßt. Den Auftrag hatte sie trotzdem bekommen, doch wenn ihr bewusst gewesen wäre, wie sie aussah, hätte sie die Verhandlungen sicherlich vergeigt.
Jetzt wartete allerdings kein Kunde mehr auf sie, sondern nur ihre leere Wohnung. Es war kurz nach acht Uhr. Früh am Abend – für ihre Verhältnisse. Doch in ihrem Haus in der Rue Tronchet kamen die Mieter alle spät von der Arbeit nach Hause. Die meisten waren Singles, beruflich stark eingespannt, schon um das Leben in Paris und die horrenden Mieten überhaupt bezahlen zu können. Dafür gab es hier auch den Luxus einer Concierge, die tagtäglich in ihrer Loge saß, die Post annahm und darauf achtete, wer ein-und ausging. Nebenbei knüpfte sie Teppiche mit sentimentalen Motiven, wie zum Beispiel schmusende Katzenkinder und Sonnenuntergänge im Gebirge. Zurzeit arbeitete Madame Bertrand an einem Knüpfbild, das drei Gänse an einem mit Blumen umrankten Brunnen zeigte. Man konnte es sehen, wenn man in ihr Fenster im Durchgang zum Innenhof blickte. Madame Bertrand wollte es als Wandbehang ihrer achtzigjährigen Mutter schenken, hatte sie vor ein paar Tagen erzählt. Rebecca legte Wert darauf, sich mehr oder weniger regelmäßig mit all ihren Bekannten zu unterhalten, selbst mit ihrer Concierge und dem Personal beim Feinkosthändler Fauchon am Place de la Madeleine. Sonst sprach sie am Ende nur noch mit Leuten aus ihrem Job.
Rebecca, der der eisige Regen gegen ihre Beine in den dünnen Nylonstrümpfen schlug, tippte mit klammen Fingern den vierstelligen Code für den
Weitere Kostenlose Bücher