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Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst-Jürgen Gerigk
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diese Tür hineingegangen und, nachdem er den Mord verübt hatte, wieder durch diese Tür herausgekommen‹, sagte der Staatsanwalt langsam und deutlich, indem er jedes Wort gleichsam einzeln aussprach. ›Das ist uns völlig klar. Der Mord ist augenscheinlich im Zimmer und nicht durchs Fenster verübt worden, was ganz deutlich aus der Tatortbesichtigung, aus der Lage der Leiche und allem übrigen hervorgeht. Darüber kann kein Zweifel bestehen.‹
    Mitja war äußerst betroffen.
    ›Das ist ja unmöglich, meine Herren!‹ rief er völlig außer sich, ›ich … ich … bin nicht hineingegangen … ich versichere Ihnen mit aller Bestimmtheit, dass die Tür die ganze Zeit über, als ich im Garten war und noch als ich den Garten verließ, geschlossen war. Ich habe nur am Fenster gestanden und ihn im Fenster gesehen.‹« [117]  
    Die seltsame Frage des Staatsanwalts lässt Dmitrij ahnen, dass inzwischen eine Einzelheit vorliegt, die ganz und gar gegen seine Unschuld spricht. »Wer die Tür zu meinem Vater geöffnet hat und durch diese Tür hineingegangen ist, der hat ihn auch ermordet, der hat ihn auch bestohlen. Wer es gewesen ist, darüber zerbreche ich mir selbst den Kopf«, äußert Dmitrij wenig später. Und nun klärt ihn der Staatsanwalt über die Aussage Grigorijs auf: »›Gerade was diese geöffnete Tür angeht, die Sie soeben erwähnten, können wir Ihnen just zur rechten Zeit, nämlich jetzt, eine äußerst interessante Aussage des von Ihnen verletzten alten Grigorij Wassiljewitsch mitteilen, die für Sie wie für uns höchst wichtig ist. Nachdem er wieder zu sich gekommen ist, hat er uns auf unsere Fragen hin klar und nachdrücklich erklärt: schon als er auf die Außentreppe hinaustrat, im Garten ein Geräusch hörte und sich entschloß, durch das Pförtchen in den Garten zu gehen, habe er beim Betreten des Gartens – noch bevor er Sie in der Dunkelheit vom geöffneten Fenster weglaufen sah, in dem Sie, wie Sie uns schon mitteilten, Ihren Vater erblickten – nach links geschaut und tatsächlich dieses offene Fenster, zugleich aber auch, in bedeutend geringerer Entfernung von sich, die weit geöffnete Tür bemerkt, von der Sie gesagt haben, sie sei während der ganzen Zeit Ihres Aufenthalts im Garten geschlossen gewesen. Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß Grigorij Wassiljewitsch daraus eine bestimmte Folgerung zieht und die Auffassung vertritt, Sie müßten durch die Tür herausgekommen sein, obwohl er das natürlich nicht mit eigenen Augen gesehen hat, da er Sie erst in einiger Entfernung von sich bemerkte, als Sie mitten im Garten waren und zum Zaun rannten …‹
    Mitja war schon mitten in der Rede vom Stuhl aufgesprungen.
    ›Unsinn!‹ brüllte er außer sich. ›Frecher Betrug! Er konnte keine offene Tür sehen, denn sie war damals geschlossen … Er lügt.‹
    ›Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen nochmals zu sagen, daß er seine Aussage mit aller Bestimmtheit gemacht hat. Er ist sich völlig sicher. Er beharrt darauf. Wir haben ihn mehrmals gefragt.‹
    ›Jawohl, ich habe ihn mehrmals gefragt!‹ bestätigte Nikolaj Parfjonowitsch eifrig.
    ›Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr! Das ist entweder eine Verleumdung oder die Halluzination eines Verrückten ( gallucinacija sumasšedsego )‹, schrie Mitja weiter. ›Es hat ihm einfach im Fieber, nach dem Blutverlust, infolge der Verletzung so geschienen, als er wieder zu sich gekommen war … Und da phantasiert er nun.‹
    ›Aber er hat doch die offene Tür nicht erst bemerkt, als er nach der Verletzung wieder zu sich gekommen war, sondern schon vorher, als er aus dem Nebengebäude in den Garten trat.‹
    ›Das ist doch nicht wahr, das kann nicht sein! Er verleumdet mich aus Bosheit … Er hat das nicht sehen können … Ich bin nicht aus dieser Tür gekommen.‹«
    Dmitrij sieht plötzlich, dass nur Smerdjakow den Mord begangen haben kann, und ruft: »›Er hat den Mord begangen, als ich fortgerannt war und Grigorij bewußtlos dalag, das ist jetzt klar … Er hat die Zeichen gegeben, und mein Vater hat ihm geöffnet … Denn nur er kannte die Zeichen, und ohne die Zeichen hätte mein Vater niemandem geöffnet …‹
    ›Doch Sie vergessen wieder‹, bemerkte der Staatsanwalt immer noch ebenso zurückhaltend, aber doch schon wie im Triumph, ›dass es gar nicht nötig war, die Zeichen zu geben, wenn die Tür schon offenstand, als Sie noch anwesend waren, als Sie sich noch im Garten befanden …‹
    ›Die Tür, die Tür,‹

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