Double Cross. Falsches Spiel
auswärts übernachten, so reservierte er ein separates Zimmer mit Doppelbett, damit die Hunde bequem schlafen konnten. Wenn er sie in Berlin zurücklassen mußte, erkundigte er sich ständig bei seinen Mitarbeitern, ob die Tiere gefressen und einen regelmäßigen Stuhlgang hatten. Angehörige der Abwehr, die es wagten, sich abfällig über die Hunde zu äußern, setzten ihre Karriere aufs Spiel, wußten sie nicht zu verhindern, daß ihrem Chef ein Wort von ihrem Verrat zu Ohren kam.
In einer Villa in Aplerbeck bei Dortmund aufgewachsen, gehörte Wilhelm Canaris, der Sohn eines Industriekapitäns, dessen italienische Vorfahren im 16. Jahrhundert nach Deutschland eingewandert waren, jener deutschen Elite an, die Hitler so verachtete. Er sprach die Sprachen der Freunde Deutschlands ebenso wie die seiner Feinde - Italienisch, Spanisch, Englisch, Französisch und Russisch - und veranstaltete im Salon seines Berliner Hauses regelmäßig Konzerte mit Kammermusik. Im Jahr 1934 befehligte er den Festungsposten Swinemünde an der Ostsee, als ihn Hitler unerwartet zum Chef der Abwehr, des militärischen Nachrichtendienstes, erkor. Hitler befahl seinem neuen Chefspion, einen Geheimdienst nach britischem Vorbild aufzubauen, und am 2. Januar 1935, einen Tag nach seinem achtundvierzigsten Geburtstag, übernahm Canaris offiziell die Leitung der Spionagebehörde.
Die Berufung Canaris' sollte sich als eine der größten Fehlentscheidungen Hitlers entpuppen. Seit seiner Amtsübernahme hatte der Abwehrchef einen prekären Balanceakt vollführt - er hatte den deutschen Generalstab mit den Informationen versorgt, die er benötigte, um einen Großteil Europas zu erobern, und gleichzeitig die Behörde als Instrument benutzt, um Deutschland von Hitler zu befreien. Er war der führende Kopf einer Widerstandsgruppe, der die Gestapo den Namen Schwarze Kapelle gegeben hatte. Die kleine, aus Offizieren, Beamten und Zivilisten bestehende Gruppe hatte erfolglos versucht, Hitler zu stürzen und mit den Alliierten einen Frieden auszuhandeln. Canaris hatte aber noch andere verräterische Akte begangen. So hatte er 1939, nachdem er von Hitlers Invasionsplänen in Polen erfahren hatte, die Briten gewarnt und vergeblich gedrängt, etwas zu unternehmen. In derselben Weise war er 1940 aktiv geworden, als Hitler die Absicht bekundete, die Niederlande und Frankreich zu überfallen.
Canaris spähte aus dem Wagenfenster und betrachtete den Görlitzer Wald, der draußen vorüberschwebte. In den Anblick der verschneiten Bäume versunken, dachte er an den jüngsten Anschlag auf Hitler. Ein junger Hauptmann namens Axel von dem Bussche-Streithorst hatte sich dazu entschlossen, Hitler bei einer Besichtigung neuer Winteruniformen für die Wehrmacht zu ermorden. Bussche-Streithorst wollte eine Sprengladung unter dem Mantel verstecken, den er vorführte, und sich zusammen mit Hitler in die Luft sprengen. Doch einen Tag vor dem geplanten Anschlag wurden die Uniformen bei einem Luftangriff der Alliierten vernichtet. Die Präsentation wurde verschoben und fand niemals statt.
Canaris wußte, daß weitere Anschläge folgen würden und daß es noch mehr mutige Deutsche gab, die bereit waren, ihr Leben zu opfern, um Deutschland von Hitler zu erlösen. Aber er wußte auch, daß die Zeit allmählich knapp wurde. Die angloamerikanische Invasion in Europa war eine beschlossene Sache, und Roosevelt hatte deutlich gemacht, daß er nur eine bedingungslose Kapitulation akzeptieren würde. Deutschland würde zerstört werden, wie Canaris bereits 1933 befürchtet hatte, als er begriff, welche ehrgeizigen Ziele Hitler verfolgte.
Außerdem war er sich darüber im klaren, daß seine Position in der Abwehr mit jedem Tag schwächer wurde. Mehrere Angehörige seines Führungsstabes in der Berliner Abwehr-Zentrale waren von der Gestapo verhaftet und des Hochverrats beschuldigt worden. Seine Gegner intrigierten gegen ihn mit dem Ziel, den Geheimdienst unter ihre Kontrolle zu bringen und ihm die Schlinge um den Hals zu legen. Er wußte, daß seine Tage gezählt waren und daß sein langer, gefährlicher Balanceakt bald ein Ende finden würde.
Der Wagen passierte die zahlreichen Tore und Kontrollposten und bog auf das Gelände der Wolfsschanze ein. Die beiden Dackel erwachten, winselten nervös und sprangen Canaris auf den Schoß. Die heutige Besprechung sollte in der beklemmenden Atmosphäre des kühlen Kartenraums im unterirdischen Bunker stattfinden. Canaris stieg aus dem Wagen und
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