Double Cross. Falsches Spiel
sich mit der anderen den Hut an den Kopf. Der Wind blies in den offenen Wagen wie ein Sturm über den Bug eines Schiffes. Er überlegte, ob er den Chauffeur bitten solle, anzuhalten und das Verdeck zu schließen. Dann kam der unvermeidliche Niesanfall - zuerst in Form vereinzelter Scharfschüsse, die sich jedoch alsbald zu einem wahren Trommelfeuer steigerten. Vicary konnte sich nicht entscheiden, welche Hand er vor den Mund halten sollte. Immer wieder drehte er den Kopf, um so zu niesen, daß der Wind die kleinen Wölkchen aus Feuchtigkeit und Bazillen davontrug.
Der Chauffeur wurde besorgt, als er Vicarys Verrenkungen im Rückspiegel sah. »Soll ich anhalten, Professor Vicary?« fragte er und nahm den Fuß vom Gaspedal.
Der Niesanfall legte sich, und Vicary konnte den Rest der Fahrt genießen. Normalerweise machte er sich nichts aus der Natur. Er war in London geboren und aufgewachsen. Er mochte Menschenmengen, den Lärm und den Verkehr. Auf dem flachen Land verlor er leicht die Orientierung. Auch waren ihm die stillen Nächte zuwider. Sie brachten ihn auf abwegige Gedanken und machten ihn glauben, daß wilde Tiere auf der Suche nach Beute durch die Dunkelheit streiften. Doch jetzt saß er im Fond des Wagens und bewunderte die Schönheit der englischen Landschaft.
Der Wagen bog in die Auffahrt nach Chartwell ein. Vicarys Puls ging schneller, als er aus dem Auto stieg und zum Haus schritt. Die Tür schwang auf, und Inches, Churchills Diener, begrüßte ihn.
»Guten Morgen, Professor Vicary. Der Premierminister erwartet sie bereits voller Ungeduld.«
Vicary reichte ihm Hut und Mantel.
»Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt«, sagte Inches.
»Wunderbar«, log Vicary höflich.
»Wie üblich ist Mr. Churchill heute morgen etwas im Verzug«, sagte Inches und fügte dann in vertraulichem Ton hinzu: »Er macht einen Zeitplan, der nahezu nicht einzuhalten ist, und dann sind wir den Rest des Tages damit beschäftigt, den Rückstand aufzuholen.«
»Ich verstehe, Inches. Soll ich im Garten warten?«
»Der Premierminister will Sie unbedingt sofort sehen. Er hat mich gebeten, Sie gleich nach Ihrer Ankunft nach oben zu bringen.«
»Nach oben?«
Inches klopfte sanft an die Tür zum Badezimmer und öffnete sie. Churchill lag in der Wanne, in einer Hand eine Zigarre, in bequemer Reichweite der anderen, auf einem kleinen Tisch, das zweite Glas Whisky des Tages.
Inches meldete Vicary und zog sich zurück. Churchill grinste seinen Freund an. »Vicary, mein Bester«, sagte er, tauchte den Mund ins Wasser und ließ Blasen aufsteigen. »Gut, daß Sie da sind.«
Vicary fand die Hitze im Badezimmer drückend. Zudem hatte er Mühe, beim Anblick des dicken rosigen Mannes, der wie ein Kind in der Wanne planschte, ernst zu bleiben. Er zog seine Tweedjacke aus und setzte sich widerstrebend auf die Toilettenschüssel.
»Ich wollte etwas Vertrauliches mit Ihnen bereden, deshalb habe ich Sie in meine Höhle eingeladen.« Churchill schürzte die Lippen. »Vicary, ich muß Ihnen gleich sagen, daß ich böse mit Ihnen bin.«
Vicary erstarrte.
Churchill öffnete den Mund, um weiterzusprechen, hielt dann aber inne. Sein Gesicht nahm einen verdutzten, bekümmerten Ausdruck an. Vicary stockte der Atem.
»Inches!« bellte Churchill.
Inches schlüpfte herein. »Ja, Mr. Churchill?«
»Inches, ich glaube, die Temperatur des Badewassers ist unter vierzig Grad gefallen. Würden Sie mal auf dem Thermometer nachsehen?«
Inches krempelte den Ärmel auf und fischte das Thermometer aus der Wanne. Er studierte es, wie ein Archäologe einen alten Knochensplitter in Augenschein nimmt. »Sie haben recht, Sir.
Die Temperatur ist auf neununddreißig Grad gesunken. Soll ich warmes Wasser einlaufen lassen?«
»Selbstverständlich.«
Inches drehte den Warmwasserhahn auf und ließ ihn einen Moment lang geöffnet. Churchill lächelte, als das Bad wieder die richtige Temperatur erreichte. »Viel besser, Inches.«
Churchill wälzte sich auf die Seite. Wasser schwappte über den Rand der Wanne und spritzte Vicarys Hosenbein naß.
»Was wollten Sie sagen, Herr Premierminister?«
»Ach ja, ich sagte gerade, daß ich böse mit Ihnen bin, Vicary.
Sie haben mir nie erzählt, daß Sie in jungen Jahren ein ziemlich guter Schachspieler gewesen sind. Wie ich höre, haben Sie in Cambridge jeden geschlagen.«
»Ich bin untröstlich, Herr Premierminister«, sagte Vicary, nun vollends verwirrt. »Aber bei unseren Unterhaltungen sind wir nie auf das Thema
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